: Prägende Entscheidungen
Keine Verschnaufpause für den künftigen Senat in der Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik: Topographie des Terrors und Flughafenprivatisierung stehen direkt nach der Wahl auf der Agenda
von ROLF LAUTENSCHLÄGERund RICHARD ROTHER
Für den künftigen Senat wird es nach den Wahlen in der Verkehrs- und Baupolitik keine Verschnaufpause geben. Drängende Probleme sind unter anderem der Flughafen Schönefeld, die von der Bundesregierung geplante Lkw-Maut auch auf Stadtautobahnen und die „Topographie des Terrors“. Zur Diskussion stehen außerdem die Hochhauspläne am Alex und eine mögliche Fusion von BVG und S-Bahn.
In der Baupolitik sind es nicht nur die Altlasten aus den Zeiten der großen Koalition – wie der Ausbau des Lehrter Bahnhofsquartiers, die Fertigstellung des Leipziger Platzes oder die Veränderungen rund um den Breitscheidplatz –, die der künftige Stadtentwicklungssenator, der aller Voraussicht nach wieder Peter Strieder (SPD) heißen wird, in den kommenden fünf Jahren zu bewältigen hat. Auf der Tagesordnung stehen Entscheidungen, die das zukünftige Gesicht Berlins wesentlich prägen werden. Bereits im November kommt auf Strieder die endgültige Entscheidung zum Bau des NS-Dokumentationszentrums „Topographie des Terrors“ zu. Die Mittel des filigranen Bauwerks auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände an der Wilhelmstraße, das seit einem Jahr mit einem Baustopp belegt ist, hat das Land auf 76 Millionen Mark festgeschrieben. Sollten sich Mehrkosten für die Konstruktion aus dünnen Betonstäben ergeben, könnte dies das Ende des Projekts bedeuten. Derzeit laufen die Berechnungen.
Mit einer Beteiligung der Grünen oder der PDS in der Regierung werden auch die Hochhauspläne am Alexanderplatz wieder zur Debatte stehen. Die zwölf Türme nach einem Entwurf von Hans Kollhoff seien nicht „stadtverträglich“ und griffen zu massiv in die bestehende Bebauung ein, sagen beide Parteien. Sie fordern, das Klein-Manhattan am Alexanderplatz durch niedrigere Bauten zu ersetzen. Zugleich fehlen dem Bausenator für die hoch fliegenden Pläne die Zusagen der Investoren. Sie schreckt der Berliner Büromarkt mit rund 1,3 Millionen Quadratmeter leer stehender Flächen ab.
Das wohl wichtigste Vorhaben in der Mitte der Stadt und des Staates, nämlich die Bebauung des Schlossplatzes, steht ebenfalls auf der Bau-Agenda. Derzeit beschäftigt sich die Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ damit, welche Nutzungen am Schlossplatz angesiedelt werden könnten. Sie will bis zum Jahresende auch einen Gestaltungsvorschlag vorlegen – Rekonstruktion des Stadtschlosses, moderner Neubau oder Collage aus Alt und Neu. Strieder muss versuchen, einen Kompromiss zwischen Schlossfans und Modernisten, den Interessen Berlins und des Bundes zu finden.
Nicht beantwortet hat Stieder die vielleicht drängendste Frage: Wie können die Flucht der Bürger ins Umland die täglichen Verkehrsströme dorthin und zurück gestoppt werden? Das groß angelegte Programm „Planwerk Innenstadt“, mit dem die Menschen auf neuen innerstädtischen Flächen in der Stadt gehalten werden sollen, hat bisher versagt, stellt es doch bis dato nur teuren Baugrund für potente Urbaniten und private Großinvestoren zur Verfügung. Eine städtische soziale Bodenpolitik für alle Bürger hat es bisher nicht berücksichtigt.
In der Verkehrspolitik stehen in der nächsten Legislaturperiode zumindest in einem Punkt weit reichende Weichenstellungen an. Die SPD favorisiert die Fusion der beiden großen Verkehrsunternehmen BVG und S-Bahn. Damit sollen vor allem Kosten gespart und so der Zuschuss des Landes an die BVG weiter reduziert werden. Die potenziellen Partner lehnen die Fusion allerdings ab. Die Grünen beispielsweise fordern mehr Wettbewerb statt eines Verkehrskombinates.
Egal wie diese Entscheidung ausgeht – eine der ersten Aufgaben ist es, das Tages- und Nachtangebot im öffentlichen Personennahverkehr anzugleichen. Die BVG wollte ursprünglich bereits in diesem Herbst die unterschiedlich Tages- und Nachtliniensysteme zusammenführen, musste dann aber aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten beim Senat um Aufschub bitten.
Die größte Baustelle ist jedoch der geplante Single Airport in Schönefeld. Ab 2003 soll bereits mit dem Bau begonnen werden, 2007 soll der Flughafen in Betrieb gehen. Diesen Termin halten viele allerdings für unrealistisch, die Planfeststellungsbehörde selbst findet ihn „sehr spekulativ“.
In der Frage der Flughafenprivatisierung geht es direkt nach der Wahl ans Eingemachte. Die Flughafeneigner Berlin, Brandenburg und der Bund haben bei der Investorengruppe um den Essener Baukonzern Hochtief und die Bonner Immobiliengruppe IVG im September ein verbessertes Angebot bis Ende Oktober angemahnt. In dem Angebot über 50 Millionen Mark sollten erhebliche Finanzierungsrisiken bei der öffentlichen Hand verbleiben. Nach den Terroranschlägen von New York und Washington allerdings hat sich die Verhandlungsposition des Senats weiter verschlechtert.
Die weiteren verkehrspolitischen Aktivitäten sind die typischen Dauerbrenner und -zwistigkeiten in der Stadt: Ausweitung des Busspur-, Straßenbahn- und Fahradwegenetzes, Ausweitung der Parkraumbewirtschaftungs- und Tempo-30-Zonen sowie der Rückbau großer Durchgangsstraßen in der Innenstadt. Diese Maßnahmen scheiterten bisher immer am Widerstand der CDU. Während sich SPD, Grüne und PDS zumindest im Prinzip darauf verständigen könnten, lehnt der mögliche Ampelkoalitionspartner FDP „vorsätzliche Schikanen für den Individualverkehr“ kategorisch ab.
Fazit: Peter Strieder (SPD) bleibt Senator für Stadtentwicklung, Bauen, Verkehr und Umwelt. Die Zusammenlegung der Ressorts hat sich bewährt.
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