: Sage bloß niemand „Utopie“!
betr.: „Ein Kanzler nimmt Abschied“, taz vom 12. 10. 01
Herr Bundeskanzler Schröder, als Staatsmann trifft man Entscheidungen dann, wenn Ursachen, Notwendigkeiten, alternative Möglichkeiten, Folgen usw. ausreichend abgewogen wurden. Die Erwartungshaltung anderer darf kein entscheidender Faktor sein.
Vielmehr muss die für das eigene Volk beste Lösung bzw. das geringste Übel umgesetzt werden. Das Wohl Ihres Volkes, und nur das darf für Sie Maßstab sein, hängt nicht von der Größe oder Macht des Staates in der Welt ab und braucht zum Volkswohl auch nicht angestrebt werden. Übrigens hängt auch die Qualität eines Staatsmannes nicht von der Größe und Stärke des Staates ab. Ebenso wie aus kleinen Staaten oft hervorragende Staatsmänner hervorgehen, werden auch große mächtige Staaten oft von gefährlichen Nicht-Staatsmännern regiert.
Und: Das tatsächliche Wohl eines Volkes kann nie unabhängig vom Geschehen auf der ganzen Welt betrachtet werden. Langfristig schadet es immer dem eigenen Volk, wenn durch Handlungen seines Staates andere Völker benachteiligt oder beschädigt werden.
Und: Hören Sie auf, Ihre Bundeswehr-Mitbürger wie sauer Bier anzubieten. Und: Falls Ihre Handlungsweise – uneingeschränkt (!) auch militärische Unterstützung der USA – mit einer Bedrohung durch unsere „Freunde“ zusammenhängt – der einzige für mich erklärliche Grund für die durchgehend gleiche Haltung aller Regierungsmitglieder, denen ich andernfalls nur Machtversessenheit unterstellen muss –, dann machen Sie dies endlich öffentlich.
WALTRAUD FAASS, Straubenhardt-Feldrennach
So erhebend die Beobachtung eines lernenden Kanzlers und die daraus erwachsende Perspektive eines emanzipierten Deutschlands sein mag: die Deutschen rufen nicht nach der neuen Rolle in der Welt. Und auch die einst von Deutschland traktierte Welt will Deutschland sicher nicht zu einem militärischen Hauptakteur avancieren lassen. Es mag ungewöhnlich sein, wenn eine wirtschaftlich mächtige Nation eine untergeordnete politische Macht darstellt. Aber ist es nicht unser Ziel, solche althergebrachten Hierarchien zu überwinden und friedliche Potenziale zu entwickeln?
Statt eines militärischen Aufbruchs könnte ich mir (auch angesichts des Zustands der Bundeswehr) mehr Zivilschutz vorstellen: Wir schicken nicht Soldaten, sondern Entwicklungshelfer, (islamische) Lehrer, (Polizei-)Psychologen, (welterfahrene, sensationsunlüsterne) Journalisten, (phantasievolle) Kommunikationswissenschaftler, (weltoffene) Pfarrer, (tatkräftige) Politiker(innen) zu Tausenden in die islamischen Länder, organisieren runde Tische und diskutieren die Möglichkeiten eines friedlichen Mit- und Nebeneinanders. Das wäre eine große Aufgabe der deutschen Nation. Sie könnte zeigen, dass sie aus dem Debakel des „Dritten Reichs“ ebenso wie aus der friedlichen DDR-Revolution gelernt hat und versteht, daraus politische Kraft für die ganze Welt zu entwickeln. Jetzt sage bloß niemand „Utopie“!
EDUARD GRIMME, Aichach
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