: Die Lizenz zum Klauen
Das Prinzip der offenen Quellcodes für Programme hat sich für das Betriebssystem Linux gut bewährt. Aber es kann nicht auf die Produktion digitaler Musikstücke übertragen werden
von VERENA DAUERER
Der Computer scheint noch immer nicht so ganz von dieser Welt zu sein. Diese Maschinen zaubern märchenhafte virtuelle Welten herbei, und wer ein wenig mehr davon versteht als gewöhnliche Sterbliche, der darf sich auch heute noch als Mitglied eines Ordens Eingeweihter fühlen.
„Wizards of OS“ – „Zauberer der Betriebssysteme“ – heißt deshalb ein Kongress, der vor zwei Jahren zum ersten Mal in Berlin stattfand. Anhänger der „Open-Source-Bewegung“, der frei zugänglichen, aber nur Fachleuten verständlichen Quellcodes von allerlei Computerprogrammen, hatten zur Diskussion geladen. Am Wochenende traf sich die kleine, aber feine Gemeinde der Zauberer und Propheten dann zum zweiten Mal – online dokumentiert ist der Kongress unter wizards-of-os.org/
Wer vermutet hatte, dass sich im Vortragssaal brummelige Nerds aus den hinteren Reihen gegenseitig verschwörerisch Codes unbekannter Krypto-Software zurufen, gemeinsam was aushacken und in der Mittagspause ihre PC-Mühlen hochtunen, lag voll daneben. Eine an technischen Gerätschaften hochgerüstete Hand voll Infoelite fächelte sich mit ihren schimmernden Laptops der neusten Generation Luft zu, schrieb fleißig mit und surfte parallel über geliehene Funk-LANs im Internet die Seiten der Panelteilnehmer ab. Etwas verloren wirkten die mehrheitlich männlichen Zuschauer in den spärlich besetzten Rängen des großen Auditoriums, voller gepackt waren die Workshops in den kleineren Konferenzräumen. Klein und übersichtlich war die Gruppe, die sich umso leichter abends auf den Partys in den einschlägigen Techno-Clubs wiedertraf. Sie verband der Konsens, dem Open Source als Ideologie zu huldigen, bei der alles als Public Domain frei sein soll: Geld, Wissen, das menschliche Genom – und Musik.
Geht erst mal klar, theoretisch. Politischer Idealismus manifestiert sich hier in Open Source mit der versteckten Hoffnung, dass ein gemeinschaftlich entwickeltes Betriebssystem wie Linux auch das Betriebssystem der Gesellschaft, die es benutzt, verändern könnte. Die Alternative zum Feind Microsoft, seinem kostenpflichtigen Betriebssystem Windows, von dem niemand weiß, wie es wirklich funktioniert – wahrscheinlich nicht mal seine Entwickler selbst.
Das Panel „Open Music“ befasste sich daher sinngemäß mit Musikstücken und den Problemen von freier Verfügbarkeit im Netz und möglichen Lizenzierungsmodellen im Zusammenhang mit dem Urheberrecht. Die Moderatoren von der Zeitschrift de:Bug, Sascha Kösch und Janko Röttgers, Koautor von „Netzpiraten“, gingen von der Annahme aus, dass sich Musik immer mehr an Software angleicht. Der Computer macht Musik programmierbar, daher selbst zu einem seiner Programme, was sich auch an den Versuchen der Musikindustrie zeige, seit letztem Jahr CDs mit Kopierschutz auf den Markt zu bringen. Die Frage ging nun in die Runde, ob sich freie Lizenzen für Software wie die GPL, die „Gnu General Public License“, auch auf Musikstücke übertragen lassen.
Open Source bei Tracks? Den Transfer versuchte Michael Kleinhenz mit dem Open Music Linux Projekt (openmusik.linuxtag.org): Er stellte drei Lizenzmodelle für Musikstücke im Internet vor, farblich abgestimmt in Grün, Gelb und Rot. Rot ist schon beinahe kommerziell, Grün dagegen heißt total easy, frei zugänglich und verwertbar nach den Regeln der „GPL“. Das Lizenzmodell, zuerst herausgearbeitet von Richard Stallman, erlaubt das freie Benutzen und In-Umlauf-Bringen eines Programms als Freeware. Wird an seinem offen zugänglichen Quellcode herumhantiert, so muss er wiederum für andere frei sein.
Das „Open Music Linux Projekt“ bietet mit seinen farbigen Lizenzen mehrere Möglichkeiten, die allerdings nur für das WWW gelten, nicht aber für die Distribution über CDs. Johnny Häusler, ehemaliger Musiker und jetzt bei der Agentur Defcon, forderte gleich ein überarbeitetes Urheberrecht für die Musik online. Neue Lizenzformen müssten schon her, unklar sei aber, wer die kontrollieren könnte – die überforderte Gema lieber nicht. Doch was an Open Source bei Programmen funktioniere, könne eben nicht einfach auf die Musik übertragen werden: „Software ist nicht so emotional wie Musik“, sagt Häusler, schließlich sei die Musik das „primäre Transportmittel für Image, Stil und Jugendkultur“.
Doch ein Musikproduzent wie „Looza“ von „Tokyo Dawn Records“ (www.tokyodawn.org) willigt nur mehr eingeschränkt ein, wenn irgendjemand seine Tracks weiterverwenden möchte. Mit Open Source hatte er schlechte Erfahrungen gemacht, als Surfer an seinen fertigen Musikstücken herumdokterten, sie neu, aber schlechter abmischten, und sogar herunterluden, als „White Label“ pressen ließen und verkauften. Jetzt wird auf der Site von Tokyo Dawn Records ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle Stücke zwar frei verfügbar seien, aber nur mit vorheriger Zustimmung der Autoren.
Die nichtkommerzielle Website ist aus der Szene der Tracker hervorgegangen, den Tauschprogrammen im Netz lange vor Napster und seinen Nachfolgern. Looza wollte seine Tracks auf keinen Fall mit der Software und seinen Lizenzen verglichen haben. Es gebe ja nicht mal ein Standardformat bei Musikfiles, dessen Quellcode allen zugänglich gemacht werden könnte. Außerdem seien Musikdaten nun mal nicht so komplex wie ein Betriebssystem, daher könne man ein gecovertes und verändertes Musikstück nicht mit einem Software-Upgrade vergleichen. Eine Kopie eines Tracks sei immer noch Klau, und dabei bleibe es.
Verständlich ist daher, dass die Arbeit von Musikproduzenten nicht zwangsläufig mit dem Selbstverständnis von Open-Source-Software vereinbar ist. Da steht das fertige Musikstück als künstlerisches Endprodukt einem Konzept des unfertigen Programms gegenüber, das abhängig von seinen Bugs und den technischen Neuerungen durch die ständige Weiterentwicklung in neue Versionen perfektioniert werden muss. Allerdings sollte bei Musik noch zwischen einem allgemein zugänglichen Samplearchiv im Netz, auf das der Vergleich mit Software besser passt, und dem fertigen Song als Einheit unterschieden werden. Man muss dann nicht gleich jede Freeware-Musik so rigide ablehnen wie Houseproduzent Mathew Herbert. Der hatte sich im Frühjahr dieses Jahres in einem Manifest gegen die Verwendung fremder Samples überhaupt ausgesprochen. Das fördere die Konsumhaltung, erklärte er im Onlinemagazin Telepolis: „Die Menschen denken, sie haben das Recht, sich die Dinge zu nehmen, nicht, dass es die Möglichkeit gibt.“
Diese Einstellung könnte man natürlich genauso der Open-Source-Bewegung vorwerfen, obwohl sie doch eigentlich für das Gegenteil stehen möchte. Klar bei aller Problematik bleibt: Das bisherige Copyright in seiner klassischen Form ist nicht auf das Internet übertragbar. Beim Panel waren sich alle zumindest darin einig, dass es dringend angepasst werden sollte. Das wird wahrscheinlich bald geschehen, denn die Bundesregierung will noch dieses Jahr einen neuen Entwurf des Urhebervertragsrechts verabschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen