zwischen den rillen
: 22 Pistepirkko, Tellé Records, Kings Of Convenience

Große Sehnsuchtsmusik

Man muss kein ausgewiesener Globalisierungsgegner sein, um sagen zu können, dass die Globalisierung nicht unbedingt schlau macht und den allgemeinen Kenntnisstand über entlegenere Ecken der Welt in irgendeiner Weise erhöht. Gut zu verfolgen war das, als sich zuletzt Berliner Fußballer und Theaterleute auf den Weg nach Finnland machten, um dort ihre Künste vorzuführen, und vorher wie nachher nur wieder das Übliche über ihr Gastland sagen konnten: dass Finnen viel saufen, viel saunen, viel telefonieren, viele Wälder haben und zwei Filmemacher namens Kaurismäki. Irgendjemand, wahrscheinlich von den Theaterleuten, wusste auch den Schriftsteller Thomas Kapielski zu zitieren: „Aller Staub des Landes ward zu Mücken in ganz Finnland.“

Keine Frage, dass unter diesen Voraussetzungen auch die finnische Popmusik im Verborgenen blüht, selbst wenn es eine ganze Reihe hochkarätiger Musiker, Labels und Bands gibt: Jimi Tenor, das Minimal-Techno-Label Sähkö (mit Acts wie Pan Sonic, Vladislav Delay), Bands wie Larry and The Lefthanded, Aaviko und Waltari, vor allem aber die Indierocker 22 Pistepirkko, die mit „Rally Of Love“ ihr mittlerweile neuntes Album herausgebracht haben.

Seit 1979 gibt es 22 Pistepirkko schon und erstmals außerhalb Finnlands wurden sie mit ihrem abgedrehten Album „Bare Bone Nest“ bekannt. Sind sie nun in Finnland seit Ewigkeiten sowas wie Nationalhelden, die jedes ihrer Alben in die Top Ten bekommen, so stellt sich das hierzulande etwas anders dar: 22 Pistepirkko haben eine kleine, aber sehr treue Fangemeinde; Indiehörer, die den ungezwungenen Umgang der Band mit musikalischen Produktionsmitteln zu schätzen wissen, ihren freien Umgang mit angloamerikanischen Vorbildern: Blues mit Sequenzern, Folk mit TripHop-Einsprengseln, Boogie-Rock mit Drum-&-Bass-Pattern. Alles aber sehr unverwechselbar: 22 Pistepirkko gibt es nur einmal.

Da braucht es dann nur wenige Takte von „Rally Of Love“, um sich sofort heimisch zu fühlen; nicht zuletzt weil P-K Keränens Stimme in ihrer nasalen Quäkigkeit, in ihrem bluesigen Biss über die zwanzig Jahre hinweg nichts von ihrer Einzigartigkeit verloren hat. Auf diesem Album sind Schmerzensmänner unterwegs, die von Liebe und Verzweiflung künden; mal schneller und nach vorn wie in „This Time“ oder „Freeman“, mal mit Kraft und Schmacht wie in „Carwash“ oder „Bloodstopper“, mal dunkel und in die Ferne abdriftend wie in dem mit Pianotönen und Drum-&-Bass-Geklöppel gleichermaßen ausgestatteten „I’m A Moon Around You“. 22 Pistepirkko machen Musik, die von Dauer ist, Musik, die Schönheit, Liebe, Güte und Frieden hervorbringt: große Sehnsuchtsmusik.

Dass die Globalisierung aber durchaus Vorteile haben kann, beweist die Hausse, die norwegische Popmusik gerade in Deutschland, England und anderswo hat. Das fing mit Kings Of Convenience an, ging mit Röyskopp weiter und erfährt nun seinen Höhepunkt mit zwei dieser Tage erscheinenden Compilations. Da ist zum einen ein weiteres Kings-Of-Convenience-Album, das schlicht „Versus“ heißt und eine Zusammenstellung von Remixen und Remakes ist. Es zeigt, dass es auch anders geht als akustisch, am Lagerfeuer und à la „Quiet Is The New Loud“; Kings Of Convenience werden auf diesem Album sozusagen elektronisch aufgebockt und frisiert. Da arbeiten auch britische Musiker wie Alfie und Ladytron mit, deren Eigenheiten sehr durch die Songs schimmern, ohne dass sie ihren Charakter verlieren, vor allem aber norwegische Musiker wie Röyskopp, Four Tet, Riton, Erot oder Andy Votel. Wenn ein Remix-Album Sinn macht, dann dieses, denn es zeigt, was für eine Pracht und Schönheit die Songs von Kings Of Convenience entwickeln können. Von Simon & Garfunkel keine Spur mehr.

Schnittstellen ergeben sich da auch zu dem bei Wall Of Sound erscheinenden Tellé-Records-Sampler, einer Auswahl von Songs des in Bergen ansässigen Elektronik-Labels Tellé und gleichermaßen ein Tribut an den im April diesen Jahres verstorbenen Tellé-Mitinhaber Tore A. Krokness. Die zwölf Titel zeigen schnell, wohin die Reise geht: Disco steht groß über fast allen Titeln, und ein bisschen kleiner: Data Pop. Analog und digital, aber immer Popmusik. Wenn es Disco so schön nur in Paris gibt, dann ist dieser Sampler eine Art norwegisches Superdiscount. Mit Songs wie „Nikita“ von Ralph Myers und The Jack Herren Band oder „Soma“ von Krila Deluxe ist jeder DJ in jedem seiner Filme ein Star. Soll da bloß noch einer sagen, in Norwegen würden sich nur Elche und Trolle gute Nacht sagen. GERRIT BARTELS

22 Pistepirkko: „Rally Of Love“ (Clearspot/Efa); Kings Of Convenience: „Versus“ (Source/Labels); Wall of Sound presents „Tellé“ (Wall of Sound/Labels)