: Duft der Jute-Tasche
■ Der Politrocker Heinz Rudolf Kunze liefert im Aladin Herz, Schmerz und süße Erinnerungen
Schade eigentlich. Heinz Rudolf Kunze hatte sich nicht als Pinocchio-Robocop verkleidet. Das technoide Outfit, das vor 20 Jahren noch als futuristisch durchgegangen wäre, war nur auf den Plakaten zu bewundern, die die „Halt!“-Tour des Deutschrockers ankündigten.
Stattdessen gab Kunze den distinguierten politischen Kommissar aus dem Wiehengebirge, der Gesellschaftskritik und solide Rock-Akkorde in den Bühnennebel pflügte. Für die herzzerreißenden Balladen setzte sich der Barde dann als verhuschter Teddybär an einen schwarzen Flügel, der etwas nach Bontempi-Orgel klang.
In den achtziger Jahren funktionierte das noch. Damals konnte der Germanist aus Osnabrück der schrillen Banalität der Neuen Deutschen Welle noch gesellschaftliche Bezüge und pathetische Liebeslieder entgegensetzen. Doch die alltäglichen Abgründe des Daseins hat längst die Hamburger Schule ausgelotet und auf die Wortakrobatik der blühenden deutschen Hip-Hop-Szene antwortet Kunze mit: Schau mich nicht so an, du/lass mir noch –ne Chance/hier ist nicht Katmandu/stürz mich nicht in Trance. Gekonnt auch die Ansage, in der Kunze einen Traum zum Besten gibt, in dem „Beatles aus Blei“ auf seiner Heizung zerfließen, um dann einen eleganten Bogen zu den „schmelzenden Polkappen“ zu schlagen.
Kunze hat immer von seinen Texten gelebt. Deshalb kann der Mann die Belanglosigkeit der aktuellen Songs nicht musikalisch kaschieren. Sich selber treu geblieben, verfügt Kunze auch heute über soviel innovative Strahlkraft wie ein Simple-Minds-Album. Aber die Studienräte mit schütterem Haar und die Goldkettchenträger aus Oyten waren ja nicht wegen Kunzes neuem Album gekommen. Sie wollten zurück in die goldenen achtziger Jahre, noch einmal den herben Duft der Jute-Taschen und des Yogi-Tees schnuppern und sich in die Zeit der ersten Knutscherei auf dem Schulhof entführen lassen. Da wurde es warm und behaglich, die Wunderkerzen und Feuerzeuge funkelten und „Dein ist mein ganzes Herz“ hallte vielstimmig durchs Aladin. Verständnislose Stille herrschte dagegen bei den neuen Songs. Was niemanden verwundert, der einmal die empörte Klage des Liedermachers über das Fernsehprogramm gehört hat: „Wir sind alle Talk-Show-Schmutz“. Glücklicherweise ist die Initiative Kunzes, der Scorpions und anderer Altrocker für das „Deutsche Rock Radio“ gescheitert. War es ein Anflug von Altersweisheit oder weshalb gab Kunze einem Stück auf seinem aktuellen Album den Titel „Sie müssen mich nicht mögen“?
Peter Ringel
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