: Diszipliniert stillsitzen
Sind „Kunsthochschulen zu teuer?“, fragte die Kunsthochschule Weißensee Kultursenatorin Adrienne Goehler. Ihre Antwort: Mehr Freiheit, weniger Kontrolle für die Hochschulen. Und mehr Geld. Das allerdings sollen sie sich bei Sponsoren holen
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Vor fünfzig Jahren entwarf Mart Stam, damals Direktor der kurz nach dem Krieg gegründeten Kunsthochschule Berlin-Weißensee, einen Stuhl aus grau lackiertem Stahlrohr und Pressholz für die Schule. „Da konnte man nicht souverän mit schwingen, sondern nur diszipliniert stillsitzen“, demonstrierte Matthias Eberle, Professor für Kulturgeschichte in Weißensee, der den Stuhl am Ende eines Podiumsgesprächs versteigerte. Doch zuvor las er aus den Berichten eines Genossen an die SED über die chaotischen Zustände an der Hochschule 1951 vor: Da werde Kosmopolitismus, Formalismus und Amerikanisierung begünstigt, statt die Liebe zum klassischen Erbe und deutscher Handwerkskunst zu pflegen. Eine Atmosphäre von Kollegialität und freier Diskussion zerstöre die Ansätze ideologischer Schulung. Von solchen Vorwürfen verfolgt, verließ Mart Stam die Schule ein Jahr später.
Nach Mart Stam hat sich der Förderverein der Kunsthochschule Weißensee (KHB) benannt, der am Freitagabend zur Verleihung seiner Förderpreise und zur hochschulpolitischen Diskussion einlud: „Was die Kunsthochschulen kosten, wissen wir – aber wissen wir auch, was sie bringen?“ Die erste Antwort kam von den sechs PreisträgerInnen. Sie gewannen für Projekteder Wandmalerei, Leporellos, Stuhlkonzepte, Produktdesign im medizintechnischen Bedarf und Textilentwürfe für ein Seebad. Gestaltung, die in den Alltag eingreift, wird groß geschrieben in Weißensee.
Die Analyse der Gesellschaft sah Rainer W. Ernst, Rektor der KHB, denn auch als Antriebsmotor der Kunst. Aus dem „Neben- und Miteinander von der Suche nach funktionalen Lösungen und einem anderen Blick auf die Wirklichkeit“ entsteht in seinen Augen das besondere Profil der KHB. Adrienne Goehler, die, bevor sie vor vier Monaten Kultursenatorin wurde, 12 Jahre Präsidentin der Kunsthochschule Hamburg war, stimmte ihm zu. Periodisch wiederkehrende Forderungen nach einer Fusion der Kunsthochschulen Berlins schob sie mit dem Argument beiseite, dass der Wettbewerb ebenso produktiv sei wie der Umgang mit der unterschiedlichen Geschichte der Häuser.
Handlungsbedarf sieht sie nicht in der Vorgabe von Regelstudienzeiten und anderen verwaltungskompatiblen Produkten, sondern in einer Erweiterung der Autonomie der Hochschule. Mehr Freiheit, weniger Kontrolle, verlangte die Senatorin am Vorabend der Wahl und versprach der KHB die Arbeit an einem Hochschulvertrag. Aber sie verglich die Situation in Weißensee – 550 Studierende und ein Etat von 12,5 Millionen – auch mit Hamburg, wo mit 18 Millionen fast doppelt so viel Studenten betreut werden. Ein Mehr an Finanzmitteln, das war klar, soll in der Wirtschaft aufgetrieben werden. Peter Dussmann, der den Katalog der Mart-Stam-Preisträger sponsert, nickte.
Niemand mochte an diesem Abend den Bösen spielen und etwa fragen, wer in der Privatwirtschaft in Zeiten großer Einbrüche und Abstürze wie bei der Bankgesellschaft Berlin und etlichen Fluggesellschaften als Sponsor noch ansprechbar bleibt. Niemand mochte, wie vor kurzem der Herausgeber der über Anzeigen finanzierten Kunstzeitung, den Nutzen einer Kunsthochschule am späteren Einkommen ihrer Absolventen messen. Wer hierher kommt, träumt nicht von Eigenheim und Automarken, stellte Goehler fest, sondern sucht nach neuen Fragen. Sie erzählte, dass nach dem 11. September der Besuch der Konzerthäuser und Museen sprunghaft angestieg; vielleicht, weil plötzlich bewusst wurde, dass Fragen der Zukunft nicht allein auf technischen Feldern entschieden werden. „Aus dem Irrtum lernen“ und „Generalisten“ auszubilden, sind für sie zwei Aktiva der Kunsthochschulen.
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