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Die Angst der Sieger vor der Pleite

Die PDS drängt nach ihrem Wahlerfolg in Berlin auf ein rot-rotes Bündnis. Doch mancher in der Partei fürchtet längst den Preis der Regierungsbeteiligung

von ANDREAS SPANNBAUER

Selbst die KPD war nur ein einziges Mal besser. 1929 hatten die Kommunisten bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Berlin 24,6 Prozent erhalten. Davon abgesehen hat die PDS bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus das beste Ergebnis eingefahren, das eine Partei links von der SPD je bei freien Wahlen in Berlin erzielen konnte.

Als der PDS-Spitzenkandidat am Tag danach entspannt lächelnd vor die Kameras tritt, gibt es eingedenk dieses historischen Erfolges keinen Zweifel mehr: Der Gewinner dieser Wahl heißt Gregor Gysi. Von der PDS-Vorsitzenden Gabi Zimmer bekommt er einen Blumenstrauß und Küsschen. „Die PDS ist ohne Gregor Gysi nicht denkbar und Gregor Gysi nicht ohne die PDS“, sagt Zimmer.

In der Tat ist der Sieg der Sozialisten, die ein Rekordergebnis von 22,6 Prozent erreicht haben, vor allem ein Triumph ihres prominentesten Politikers: Jeder zweite PDS-Wähler hat seine Stimme wegen Gysi abgegeben. Dazu kommt die Ablehnung des Krieges in Afghanistan, die der PDS vor allem im Osten weitere Gewinne gebracht hat. Mit dem Überraschungscoup ist für die PDS die Beteiligung an der Macht in Berlin in greifbare Nähe gerückt, und auch Gregor Gysi weiß um die ungeheure symbolische Bedeutung dieser Tatsache. „Die deutsche Hauptstadt ist ein besonderes Signal für die Bundesrepublik und das Ausland“, leitet er seine Rede ein. Selbstverständlich, sagt Gysi, beinhalte eine Koalition mit der PDS ein „provokatives Element“.

Doch dann listet Gysi noch einmal die Fakten auf, die seiner Forderung nach einer Regierungsbeteiligung Nachdruck verleihen. Im Ost-Berlin hat die PDS mit 47,6 Prozent die absolute Mehrheit nur sehr knapp verfehlt. In allen Bezirken Ost-Berlins stellen die Sozialisten die stärkste Fraktion; in jedem Ost-Wahlkreis haben PDS-Kandidaten das Direktmandat geholt. Im Westteil, wo die PDS nach der Wende mit 1,1 Prozent als unbedeutende Splitterpartei begann, hat sie mit 6,9 Prozent immerhin besser abgeschnitten als unlängst die FDP in Hamburg.

In absoluten Zahlen gesprochen haben die Sozialisten seit den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus rund 89.000 Stimmen dazugewonnen, 14.000 davon von den Grünen. Seit 1990 befindet sich die PDS damit in Berlin ungebrochen im Aufwind. Allein in der Wahlnacht sind 32 neue Mitglieder beigetreten. Aus ihrer Stärke im Osten leitet die PDS nun einen eindeutigen Anspruch auf Regierungsbeteiligung ab. „Wir sind bereit für eine rot-rote Regierung“, sagt Gysi. Eine Koalition ohne die PDS? „Wer das macht, verzichtet auf die innere Einheit der Stadt“, argumentiert der Spitzenkandidat und reibt sich die Hände. Mehr noch: Dies wäre eine „direkte Spaltungsentscheidung“. Zudem zeige das Ergebnis der Wahl, dass die SPD von der Tolerierung durch die PDS profitiert habe. Ängste der Wirtschaft vor einer PDS-Beteiligung sieht Gysi längst nicht mehr: „Mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Dax heute morgen gestiegen ist“, witzelt er.

Längst stellt die PDS klare Bedingungen an die SPD. „Einsparungen bei Bildung und Kultur wird es mit uns nicht geben“, verspricht Gysi, der immer wieder deutlich macht, dass dies hier sein persönlicher Erfolg ist. Auf seine eigene Rolle in einem möglichen Senat aus SPD und PDS angesprochen, antwortet er: „Ich übernehme für unsere Regierungsbeteiligung die Verantwortung.“

Zu ungetrübter Freude aber besteht für die PDS dennoch kein Grund. Eine Koalition könnte die Partei vor jene Probleme stellen, die die Grünen in der Hauptstadt unter die Zehnprozentmarke gebracht haben. Eine Regierungsbeteiligung, sagt Gysi vorsorglich, wäre „mit Höhen und Tiefen“ verbunden. „Da muss man auch Lehrgeld bezahlen“, fügt er an die Adresse seiner eigenen Partei hinzu und scherzt nicht mehr. Andere werden deutlicher. „Ich kann nicht sagen, was ich mir mehr wünsche“, seufzte der stellvertretende Landesvorsitzende Stefan Liebich über die Frage von Regierung und Opposition, nachdem am Sonntagabend die ersten Ergebnisse bekannt geworden waren. „Jetzt müssen wir mitregieren“, bedauerte auch ein Abgeordneter auf der Wahlparty vor dem Roten Rathaus. Die Angst wächst, dass ein Bonmot des Spitzenkandidaten aus dem Wahlkampf nun bittere Wirklichkeit werden könnte: „Die Stadt ist so pleite, dass man sie sogar uns überlassen kann.“

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