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tamtürktür . . . esst mehr ezme! von BJÖRN BLASCHKE

Die Tiere, mit denen Menschen Menschen vergleichen, variieren. Und sprunghafte Metamorphosen sind keine Anomalien: „Käferchen“ und „Maus“ werden verwandelt in „Hengst“ oder „Stier“, um wieder zu schrumpfen zu „Hund“ oder „Ratte“. Und ratzfatz ist auch deren genetischer Code wieder modifiziert: „Ochse!“ oder „Trampeltier!“ Neuzüchtungen? Kein Problem: „Planschkühe“ werden geschaffen und „schafsnasige Gewitterziegen“. Lebewesen mithin, die die Proteste gegen Kreuzungen von Ziegen und Schafen zu „Schiegen“ der Heuchelei zeihen. Selbst Menschen, die sich als Gendarmen Gottes aufspielen, klempnern sich bisweilen – wider die Schöpfung – Lebewesen zurecht: „Affenköter“ und „Erdnuckelpinguine“.

Die Deutschen zählen zu den größten Tierflegeln dieses Planeten, gleich gefolgt von den Türken: Deren Lieblingsvergleichskreatur ist der Esel („Esek“) respektive sein Sohn; und auf den Hund („Köpek“) sind die Türken ebenfalls gekommen. Ihre liebevollen Kosenamen entlehnen sie dagegen zumeist der Welt der Naschwaren: „Sekerim“, nennt Alibert seine Fatma – „mein Zucker“. Umgekehrt ruft sie ihn „Zeytin“ (Olive) oder „Findik“ (Haselnuss). Am pöngeligsten aber klingt „Fistik“, weil die „Pistazie“ die Königin der Knabbereien ist.

Die Region rings um Antep gilt als das Anbaugebiet der türkischen Pistazie. Die Stadt selbst erhielt, weil sie der Mandatsmacht Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg so tapfer widerstand, vom Staatsgründer Atatürk den Zusatz „Gazi“, was etwa so viel heißt wie „ehrenvoller Krieger“. Ehrenhalber heißen die „Fistik“ (Pistazien) ihrerseits „Antepfistigi“. Vielleicht aber nennen die Türken ihre grünen Früchtchen auch so, weil Gaziantep außer ihnen fast nichts zu bieten hat. Fast nichts . . .? Ja, denn es gibt doch noch eine kleine Kostbarkeit: Die Konditoren der Stadt zaubern aus „Antepfistigi“ ein „Antepfistigi Ezmesi“, das wohl leckerste Leckerli, seit es Leckerlis gibt. Die richtige Übersetzung für „Ezme“ lautet „Püree“ oder „Mus“, doch möge „Antepfistigi Ezmesi“ fortan „Pistazienmarzipan“ heißen! Dieser Begriff ist der einzige, der der wahren Götterspeise gerecht wird: ihrer Konsistenz, die zugleich süß-saftig und leicht herb-mürbe ist; und der Geheimniskrämerei, die um die Rezepte betrieben wird, ganz und gar entspricht. Wie einst die großen deutschen Mandelmarzipanhersteller reichen die türkischen Pistazienmarzipanproduzenten lediglich innerhalb der eigenen Sippe ihre Familienrezepte weiter.

Leider wird außerhalb von Gaziantep kaum „Pistazienmarzipan“ verkauft. Aus gutem Grund: „Antepfistigi Ezmesi“ muss binnen einer Woche gegessen werden, sonst ist es nicht mehr frisch – und der Ruf des Konditors ist dahin.

Jeder aber, der einmal die grüne Delikatesse aus Gaziantep kosten durfte, würde sich für einen Dealer, der mit Düsenjet oder Rakete original „Antepfistigi Ezmesi“ nach Deutschland importierte, in ein Tier verwandeln: vom rasenden Kätzchen zum schnurrenden Tiger vom hoppelnden Floh zum zahmen Hengst . . .

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