piwik no script img

Wahl zwischen Pest und Cholera

Nicht wenige Grüne sind sicher: Egal für welche Koalition sich die Partei entscheidet, sie wird immer verlieren. Als Ausweg bliebe nur die Opposition

von ANDREAS SPANNBAUER

Nach ihrer Wahlniederlage in Berlin steuern die Grünen auf eine neue Zerreißprobe zu. Ausgerechnet eine rot-rot-grüne Koalition, die die Spitzenkandidatin Sibyll Klotz im Wahlkampf resolut ausgeschlossen hatte, soll die Partei nun vor dem Gang in die Opposition oder einem Zusammengehen mit der ungeliebten FDP retten. Längst ist bei den Grünen von einer möglichen Spaltung die Rede, Justizsenator Wolfgang Wieland macht inzwischen seine politische Zukunft von einer möglichen Koalition mit der PDS abhängig. Nach einem Beschluss des Landesparteitages am vergangen Dienstag wollen die Grünen nun trotzdem beide Optionen prüfen.

Eine Ampelkoalition ist für die Grünen, bei denen Emotionalität traditionell eine Rolle in der Politik spielt, die unbeliebteste Variante. Zu groß sind die Differenzen zwischen den verkehrspolitischen Vorstellungen der Ökopartei und dem Traum des FDP-Fraktionsvorsitzenden Günter Rexrodt von einer sechsspurigen Stadtautobahn. Die Ampelskeptiker fürchten zudem, dass in einer solchen Konstellation der Sieger Klaus Wowereit (SPD) heißen könnte: Der Regierende Bürgermeister habe im Konfliktfall stets die Möglichkeit, mit der Alternative einer rot-roten Koalition zu drohen.

Befürworter der Ampelkoalition wie die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer argumentieren dagegen, die Grünen seien von ihren Wählern als Regierungspartei gewählt worden. „Diesen Auftrag müssen wir jetzt auch wahrnehmen.“ Angesichts der Schwäche der „Phantompartei“ FDP sieht Fischer durchaus eine Chance, einer Ampelkoalition grünes Profil zu verpassen. Auch der Parteivorsitzende Fritz Kuhn liebäugelt mit der FDP und lehnt ein rot-rot-grünes Bündnis strikt ab. Die Gegner der Ampelkoalition begründen ihre Ablehnung vor allem mit dem nationalliberalen Flügel der FDP.

In einer rot-rot-grünen Koalition würde sich erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik eine Partei an einer Regierung beteiligen, für die sie rechnerisch nicht gebraucht wird. SPD und PDS verfügen auch ohne die Grünen über eine satte Mehrheit von sechs Sitzen. Befürworter dieser Variante bei den Grünen verweisen darauf, dass man der PDS etwa in der Sozialpolitik inhaltlich näher stehe als der FDP. Doch in einem rot-rot-grünen Senat würden die Grünen über keinerlei Druckmittel verfügen. „Regierungen werden von denen gebildet, die die Mehrheiten dafür haben“, warnt Ex-Bundesgesundheitsministerin Fischer. Die Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig fürchtet angesichts einer drohenden Profillosigkeit der Grünen in der Hauptstadt bereits negative Folgen für das Abschneiden bei der Bundestagswahl.

Die Sozialdemokraten zeigen sich von dieser Variante ohnehin wenig begeistert. Der Regierende Bürgermeister Wowereit weist immer wieder auf den fehlenden Sinn eines solchen Bündnisses hin: „Das Kernproblem, eine Regierung mit der PDS zu bilden, wird nicht besser durch eine Dreierkonstellation.“ Ähnlich zurückhaltend äußert sich auch der PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi. Zwar sei er auch für eine Zusammenarbeit mit den Grünen offen, beteuert Gysi immer wieder. „Eine solche Konstellation wäre aber vor allem für die Grünen eine Demütigung.“

Eine Minderheit der Grünen fordert in Anbetracht dieser Ausgangslage den sofortigen Gang in die Opposition. „Egal, in welche Regierung wir gehen, in fünf Jahren sind wir erledigt“, brachte ein Mitglied auf dem Landesparteitag am vergangenen Dienstagabend die düsteren Aussichten auf den Punkt. In der Opposition könnten die Grünen genüsslich darauf hoffen, dass die Konkurrenz von der PDS an der Regierung entzaubert wird. An den Gedanken, nach fünf Monaten im Senat wieder fünf Jahre auf den Oppositionsbänken abzusitzen, können sich die Grünen freilich nur schwerlich gewöhnen: „Dann müssen wir wieder Anträge schreiben“, stöhnt der Landesvorsitzende Till Heyer-Stuffer. Doch der entscheidende Satz auf dem Landesparteitag lautete: „Über Opposition müssen wir nicht reden. Da landen wir sowieso.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen