: Heimlich, still und tödlich
Das US-Militär hat jahrelang geheim an „defensiven“ Biowaffen geforscht: Offiziell zu medizinischen Zwecken, um Soldaten bestmöglich zu schützen
von BERNHARD PÖTTER
Der Albtraum aller Sicherheitsexperten begann mit einem Großeinkauf: Für eine Million Dollar deckten sich Mitte der 90er-Jahre Agenten des Pentagon in den Heimwerkermärkten im US-Staat Nevada mit Rohren und Filtern ein. Einen Brutkasten bestellten sie in Europa, andere Instrumente bei amerikanischen Firmen. Aus dem Material bastelten sie auf einem Armeetestgelände in der Wüste von Nevada eine kleine Fabrik, die so geheim war, dass nicht mal der damalige Präsident Clinton davon erfuhr. 1999 und 2000 wurden in Testläufen harmlose Bakterien gezüchtet. Keine Polizei, kein Geheimdienst war den Wissenschaftlern auf die Schliche gekommen. Das Verteidigungsministerium hatte bewiesen: Terroristen könnten ohne Probleme in den USA eine Produktionsstätte für Biowaffen aufbauen.
Dieses „Projekt Bacchus“, das Anfang September von der New York Times aufgedeckt wurde, zeigte auch: Beim Thema Biowaffen scheren sich die USA kaum um internationale Verträge. Denn die Aktion verletzte selbst nach Einschätzung von Beamten der Clinton-Administration die Biowaffenkonvention.
Während in den USA nach den Milzbrandanschlägen die Angst vor Bioterror wächst, sperrt sich die Bush-Administration außenpolitisch gemeinsam mit anderen Staaten weiter gegen eine effektive globale Kontrolle der Biowaffen. Ähnlich wie beim ABM-Vertrag und beim Kioto-Protokoll zum Klimaschutz lehnen die USA ihre internationale Verpflichtung ab. Im Juli erklärte US-Unterhändler Donald Mahley, sein Land werde dem Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention definitiv nicht zustimmen. Damit schwand die Hoffnung, mit dem Übereinkommen könne die Weiterverbreitung der „Atombombe der Armen“ eingedämmt werden. Diesem Ziel gilt auch die 5. Überprüfungskonferenz zur Biowaffenkonvention, die sich ab 19. November in Genf trifft. Doch die USA werben für ihre ablehnende Haltung schon bei den europäischen Verbündeten. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigte gegenüber der taz, die USA hätten „erste Vorschläge vorgelegt“. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass „das Biowaffenabkommen in allen Artikeln weiter bindend bleibt“.
Das aber hindert Staaten wie die USA nicht daran, Biowaffen zu entwickeln. Das grundsätzliche Problem ist der „dual use“: Krankheitserreger wie etwa Milzbrandsporen können zur medizinischen Forschung, aber auch zum Aufbau von Biowaffen dienen. So lieferten etwa amerikanische Institute in den 80er-Jahren Milzbranderreger in den Irak, wo daraus Massenvernichtungswaffen entwickelt wurden. „Bis in die 90er-Jahre war das Usus“, sagt Oliver Thränert, Experte für ABC-Waffen am „Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit“ in Berlin. „Milzbrand kommt im Irak immer wieder vor. Wenn da ein medizinisches Labor aus den USA Erregerstämme anforderte, wurden die natürlich geliefert.“ Heute debattieren die Sicherheitsexperten, ob die Milzbranderreger in den USA möglicherweise aus dem Irak stammen könnten.
„Die Forschung der USA an Biowaffen ist eindeutig defensiv, nicht offensiv“, sagt Thränert. Auch die Militärs aller Länder argumentieren, man bräuchte Forschung an aggressiven Krankheitserregern, um Impfstoffe dagegen zu entwickeln. Fast 900 Millionen Dollar gibt allein das US-Verteidigungsministerium jährlich dafür aus, die eigenen Truppen auf den Ernstfall mit chemischen und biologischen Waffen vorzubereiten. „Die Wahrscheinlichkeit bleibt bei globalen Konflikten hoch, dass US-Truppen mit Biowaffen in Berührung kommen“, resümiert der jährliche Report des Pentagon an den US-Kongress über das „Chemische und Biologische Verteidigungsprogramm“ für 2001.
„Superbug“ geplant
„Die US-Truppen bleiben die am besten geschützten Einheiten der Welt, die in biologisch verseuchten Gebieten überleben und operieren können“, verspricht das Pentagon. Für dieses Ziel interpretiert man die internationalen Regeln nach eigenen Vorstellungen. Vorige Woche entschied der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die Defense Intelligence Agency des Verteidigungsministeriums würde jetzt den „Superbug“ entwickeln: Eine von russischen Forschern bereits gezüchtete, genmanipulierte und daher extrem virulente Version des Milzbrandbazillus solle nun auch in den USA entwickelt werden. Das Militär will testen, ob die Impfungen für die US-Soldaten auch gegen den neuen Erreger wirksam sind.
Neben dem geheimen Aufbau der Fabrik in Nevada verfolgte das US-Militär nach Informationen der New York Times in den letzten Jahren noch ein weiteres geheimes Projekt: Unter dem Codenamen „Clear Vision“ baute die CIA seit 1997 eine Bombe nach, die sowjetische Militärs entwickelt hatten, um Biowaffen als feine Nebel verstreuen zu können. Bis zum Jahr 2000 wurde die Bombe aus „rein defensiven Gründen“ getestet, um möglichen Schaden abschätzen zu können. Dann kam die Clinton-Administration zur Überzeugung, die Bombe verstoße gegen die Biowaffenkonvention. Das Projekt wurde beendet.
Auch auf anderen Gebieten werden Biowaffen erforscht. So ließ das Pentagon etwa besondere Raketensprengköpfe für biologische Waffen entwickeln, berichtet das deutsch-amerikanische Sunshine Project kritischer Wissenschaftler. Im Rahmen der Raketenabwehrpläne NMD sollte erforscht werden, wie Raketen mit Sprengköpfen voller Biowaffen in der Luft zerstört werden könnten. Weiterhin untersucht das US-Energieministerium die Verbreitung von Mikroorganismen durch Aerosole (feinste Nebel). Die US-Navy schließlich forscht nach diesen Informationen an gentechnisch veränderten Pilzen, die Kunststoffe fressen und Tarnanstriche zerstören können. Andere Forscher suchen nach Mikroben, die Maschinen lahm legen, indem sie Benzin oder Schmiermittel vernichten.
In einem anderen Feld stehen die USA nach Ansicht von Jan van Aken vom Sunshine Project kurz vor dem Einsatz von Biowaffen: Mit genmanipulierten „Killerbakterien“ sollen Drogenplantagen in Kolumbien und Afghanistan vernichtet werden. Seit über zehn Jahren entwickle die US-Landwirtschaftsbehörde USDA Pilze gegen die Kokapflanze bis zur Einsatzreife. Letztes Jahr gab die US-Regierung für dieses Programm 23 Millionen Dollar aus. Auch finanzierte die USDA ein Labor im usbekischen Taschkent, wo ein Pilz zur Bekämpfung des Schlafmohns isoliert wurde.
Ein Einsatz der Biowaffen sei ein „eindeutiger Verstoß gegen das globale Verbot, biologische Waffen gegen Menschen, Tiere oder Pflanzen einzusetzen“, heißt es vom Sunshine Project. Oliver Thränert ist dagegen optimistisch, dass die USA deswegen vor einem Einsatz zurückschrecken.
Die Kritiker vom Sunshine Project sehen die Biowaffenkonvention in großer Gefahr. Immerhin hat die für Abrüstung zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium, Avis Bohlen, vor den Vereinten Nationen die Ablehnung des Zusatzprotokolls zur Konvention bekräftigt: Die USA wollten sich darauf konzentrieren, den Einsatz der Stoffe zu verhindern.
Für van Aken ist das ein Zeichen, dass die Bush-Administration in Zukunft die Aufmerksamkeit nur noch auf vereinzelte Einsätze der Biowaffen richten will – und eine laufende Überprüfung von Labors und Forschungsstellen unterbinden möchte. Van Aken fürchtet, dass die USA die Biowaffenkonvention langsam aushöhlen wollen, um sich Einsätze etwa gegen die Drogenpflanzen genehmigen zu lassen. Hielten die europäischen Nato-Staaten an ihrer „blinden Bündnistreue“ zu den USA fest, könnte dies das „Ende der Biowaffenkonvention besiegeln.“
Doch auch die USA wollen Besitz und Weitergabe der Biowaffen eindämmen. Oliver Thränert ist zuversichtlich, dass die Bush-Administration nach Alternativen suchen wird. So sollten Krankheitsausbrüche stärker überwacht werden, die auf Biowaffenwirkung hindeuten, die ethischen Normen für Forscher sollten ebenso verstärkt werden wie die Exportkontrollen. Zu einem von der Konferenzleitung vorgeschlagenen strengen Überprüfungsplan aber werde die US-Regierung nein sagen. „Die USA haben sich immer gegen mehr Transparenz gesträubt. Sie hatten Angst vor Industriespionage durch die Kontrolleure, aber wohl auch vor der Entdeckung ihrer geheimen Projekte“, so Thränert. Bei der Bewertung der Biowaffenprogramme werde mit zweierlei Maß gemessen, meint er: „Wenn der Irak das gemacht hätte, was die USA gemacht haben, hätten wir das wohl alle als eine Verletzung der Konvention eingestuft.“
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