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Das Spiel vom Neubeginn

Der Anfang dauert: Münchner Neuintendanten servieren die Vorspeisen zur Theaterspielzeit

von SABINE LEUCHT

1986 war Frank Baumbauer Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels. Auf dem Spielplan: Achternbuschs „Gust“. In der Hauptrolle: Sepp Bierbichler. Schimpfend. Auf die CSU. Weil der das nicht gefiel, musste der Intendant gehen und gewann im hohen Norden den Titel „erfolgreichster Theaterleiter der Republik“. Mit diesem ist Baumbauer nun von Hamburg nach München zurückgekehrt. Als Leiter der Städtischen Kammerspiele, wenige Meter vom Staatsschauspiel entfernt. Und der Coup, den der Heimgekehrte zum Auftakt landet, lässt 15 Jahre kurz aussehen. Herbert Achternbusch inszeniert sein jüngstes Werk „Daphne von Andechs“. In der Hauptrolle: Sepp Bierbichler als Hick von Bouillon. Schimpfend. Auf die Stadt München. Im Parkett mit dabei der sparsam lächelnde OB Ude, wenn es über ihn heißt: „Nix dahinter, nur Kabarett“. Und kräftig lacht der gewesene Kulturreferent Nida-Rümelin, wenn Hick seine Liebste erwürgt, weil die ihn für so langweilig hält wie „einen vom Kulturreferat“.

Mit einem neuen Skandal ist vorerst nicht zu rechnen. Richtig angekommen in der Spielzeit ist das Theater mit dieser ersten von zehn Eröffnungspremieren aber auch noch nicht. Unübertrefflich zwar der stoffelige Charme Bierbichlers, der in die Rolle von Achternbuschs Alter Ego besser passt als dieser selbst. Als sein Bart nicht mehr kleben will, reißt er ihn ab und bindet sich stattdessen ein kurzes Seil ums Kinn. Das schaut so grandios deppert aus, dass selbst der Dichter-Regisseur auf der Zuschauerbank verlegen auflacht.

So lange dieses Halbfertig-Improvisierte spürbar bleibt, so lange funktioniert der Abend prächtig. Der Esel, mit dem Hick und Michael von Fraaß zur Göttin Daphne pilgern, ist Achternbusch at its best: Hastig zusammengenagelt, mit zwei Besenköpfen als Sattel. Michael Tregor als von Fraaß legt das Kindlich-Verstörte, Zart-Fragende eines Verirrten in all seine Worte und Gesten. In ihren KZ-Anzügen sind die beiden ein Paar wie Don Quichote und Sancho Pansa, auf der Flucht vor dem Rausch, der allein München real erscheinen lässt. Michael: „So wahr ich hier hocke, Hick, sehe ich von München nicht mehr als was ich mir dir, Hick, mitzuteilen erlaube: eine Bierflasche und sie ist leer.“ Hick: „Lass sie liegen, denn wer weiß es, ob an dieser Flasche nicht ganz München hängt?“

Gegen Ende aber wird die Geschichte fad, denn da versucht sie die privatistische Grantler-Petitesse zum Schauspiel mit großer Personnage zu erweitern. Und am fadesten wird es, als Daphne erscheint. Denn wie das so ist mit den Träumen: Werden sie wahr, wünscht man sie sich insgeheim als Traum zurück.

So dürfte es auch einigen Kritikern vor fast zwei Wochen gegangen sein. Im Bayerischen Staatsschauspiel hatte Ex-Kammerspiel-Intendant Dieter Dorn die Weichen gestellt für ein Weiter-So im größeren Rahmen. Und wer sich erträumt hatte, das würde alles ganz bieder-reaktionär werden oder großartig klug und leicht, der schrieb das eben so nach den ersten beiden Premieren hin. Einige vielleicht in der vagen Hoffnung, Baumbauers Einstand würde einen feisten Kulturkampf high gegen low daraus machen, der dem herbstlich-müden München recht gelegen käme. Fehlanzeige: Die Kulturschickeria kann sich nach wie vor in den Kammerspielen besser beäugen, wo sie im neuen Haus erhaben vor dem Restpublikum thront. Und in seiner Inszenierung von Handkes „Spiel vom Fragen“ sind Dorns neuem Oberspielleiter Elmar Goerden Szenen gelungen, die es so auch bei Achternbusch geben könnte. Und Gisela Steins Einheimischer könnte sich mit Thomas Loibls Parzival durchaus auf eine Pilgerreise machen, die in Andechs endete. Wenigstens bliebe den beiden dann die Fragerei erspart, die die anderen Figuren des Stück von Anfang an zu Textaufsagern macht, so emsig sie auch dagegen anspielen mögen. Handkes Stauner, denen „nie etwas selbstverständlich sein wird“, treibt weder kindliche Neugierde noch intellektuelle Fragelust. Während Achternbusch mit seiner tapsigen Rausmaul-Prosa manchmal das Herz einer naiven Poesie berührt, schreit hier jeder Satz bloß seine eigene Wichtigkeit heraus.

Silvia Merlos und Ulf Stengls Bühnenbild verweilt immer ein Stück vor der Stadt, deutet Wohnsilos an oder Autobahnbrücken und klopft nichts fest. Und lange ist Parzival die schönste Figur, weil ihm die gedrechselten Handke-Sätze nicht zu Gebote stehen. Er kann nur ungehobelt würgen an den Fragen, die in ihm drin noch stille halten. Insgesamt ist wenig falsch gelaufen in dieser Inszenierung außer dem, was für ein Theater der Textpflege am wichtigsten ist: die Stückauswahl. Hausherr Dorn ist da am Tag zuvor auf Nummer Sicher gegangen. In Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ ächzt Rolf Boysens Shylock unter der Last seiner Rache: Der Jude will dem Kaufmann Antonio ans Herz. Der Grund ist aber sichtlich nicht persönlicher Hass, sondern eine Verpflichtung gegenüber Tausenden getretener Juden, die den Einzelmenschen überfordert. Das Geifern, das Wüten, das Vergeltenwollen – alles ist ihm zu groß. In dieser widersprüchlichen Figur ist das Menschendarstellertheater eines Dieter Dorn selten nah am Menschen. Beim (gekonnt) Darstellerhaften des Rests bleiben die Menschen auf Distanz zu sich selbst. Statt dessen wird jedes Detail des Textes über vier Stunden lang ausgestaltet und wie eine Kostbarkeit zelebriert.

Achternbusch, der so sehr Mensch ist, dass man ihm den Künstler gerne abspricht, hat einen Abend gestaltet, der peinlich in die Hose hätte gehen können. Das Theater Dieter Dorns taugt auch, wenn es schlecht ist, immer noch als gepflegte Vorspeise zum Mitternachtsdinner. Der Hauptgang – hier wie dort – lässt auf sich warten.

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