: Dialog mit dem Stein
Intuition, Geduld, der Weg als Ziel: Steinbildhauern ist eine Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst, bei der Kunst entsteht ■ Von Sandra Wilsdorf
Der Stein war schon vor uns da, und er wird bleiben, wenn wir längst weg sind. Deshalb ist ihm mit menschlicher Kraft nicht beizukommen, und mit Willen schon gar nicht. Wenn aus Mensch und Stein etwas werden soll, dann höchstens mit Gefühl und im Dialog. „Als erstes versuche ich, die Leute unbedingt davon abzubringen, zielgerichtete Vorstellungen von dem zu haben, was sie aus dem Stein machen wollen“, sagt Thomas Behrendt. Er ist Bildhauer und Dozent an der Norderstedter Volkshochschule.
Der 46-Jährige sagt seinen Schülern: „Handle mit dem Stein aus, was er werden will. Er weiß das wahrscheinlich ohnehin schon.“ Denn wer sich nicht auf seine Intuition verlasse, wer nicht mal abholt, was in ihm steckt, der vertue eine große Chance: „Es geht ja um den Prozess.“ 168 der Arbeiten, die im Lauf der vergangenen zehn Jahre bei den Auseinandersetzungen der Schüler mit sich selbst und dem Stein entstanden sind, gibt es noch bis Mittwoch im Norderstedter Rathaus zu sehen. „Schlaglichter auf 10 Jahre Steinschlag“ heißt die Ausstellung und zeigt, dass ganz normale Menschen Künstler sind, wenn sie ihrer Intuition freien Lauf lassen. Abstrakte Formen, Geraden, Wellen, erkennbare Gesichter oder Torsi: Erst während des Prozesses mit Eisen und Fäustel schält sich aus dem Stein eine Form, will erkannt und herausgearbeitet werden.
Thomas Behrendt bietet seit 1991 Kurse an der Norderstedter Volkshochschule an, seine Teilnehmer kommen aber auch aus ganz Hamburg, eine reiste sogar schon aus Kiel an. Die SchülerInnen mögen das „Beieinandersein, das Miteinandererleben, das in Bewegunggeraten“, wie es eine Teilnehmerin bei der Ausstellungseröffnung formulierte. Sie folgen dem „klopp' dich frei“ von Thomas Behrendt und merken, dass der Widerstand des Steines jeden auf die Probe stellt, dass sich der Stein wie das Leben formen lässt. Und dass hier wie da „nur aus dem Zerstören etwas Neues entstehen kann“. Das jedenfalls sagt Thomas Behrendt denen, die erfurchtsvoll ihren Stein bewundern und sich nicht trauen, ihn zu verletzen. Dabei ist nehmen geben, denn Bildhauern ist nun einmal die Kunst des Wegnehmens, nicht des Hinzufügens.
Weil so ein Stein sich gegen schnelle Lösungen sperrt, braucht es neben der Ruhe auch Geduld. Bis aus einem Steinblock ein Werk wird, vergehen Monate, „die meis-ten brauchen eineinhalb Kurse“, sagt Thomas Behrendt. Für ihre Kunst kommen die 12- bis 70-Jährigen Mittwoch abends oder Sonnabends auf den Norderstedter Bauspielplatz. Dort hat Thomas Behrendt eine Werkstatt gebaut, und dort lagern die Steine: Sand- oder Kalkstein, Granit, Marmor, aus denen Kunstwerke werden sollen. Die meisten kommen aus einem Steinbruch bei Hannover, aber einige sind auch Grabsteine, die auf Gräbern standen, zu denen es keine Trauernden mehr gibt. Behrendt hat sie davor bewahrt, zu Straßenbelag verarbeitet zu werden.
In der Hütte lagert das Werkzeug, steht ein Tisch für das gemeinsame Frühstück, „das heißt bei uns immer Frühstück, egal wie spät es ist“. Geschlagen aber wird hier nur, wenn es draußen regnet oder zu kalt ist. Sonst schlagen sich die Künstler draußen frei.
Behrendt ist nicht nur Lehrer, sondern auch Künstler, Absolvent der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, Preisträger des Kreises Segeberg und regelmäßiger Teilnehmer an internationalen Bildhauersymposien. Gerade bearbeitet er für die Stadt Norderstedt einen Achttonnengranit. Seine eigenen Ideen bereitet Behrendt mit Skizzen oder Tonplastiken vor. Manchmal kritzelt er auch nur vor sich hin und liest anschließend daraus eine Figur. An Zufälle glaubt er dabei nicht: „Wenn dir etwas zufällt, muss es auch jemand geworfen haben.“
Der Einstieg in die Kurse ist noch möglich. Infos unter Tel.: 040/525 53 27
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen