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„Kein einziger Taliban ist weg“

Hamburger AfghanInnen verurteilen mittlerweile den Krieg in ihrem Herkunftsland  ■ Von Elke Spanner

Die Stimmung innerhalb der afghanischen Gemeinde in Hamburg ist umgeschlagen. Als die USA ihre Bombardements auf Afghanistan begannen, hatten viele MigrantInnen aus dem zentralasiatischen Land die Angriffe begrüsst. Das Taliban-Regime müsse beseitigt werden, hieß es, damit demokratische Kräfte an der Regierung beteiligt werden könnten. So auch Sobeir Zediqian vom „Afghanistan Hilfs- und Entwicklungsdienst“. Jetzt sagt er, dass er seine Meinung geändert habe: „Die Bevölkerung leidet sehr unter den Angriffen, und kein einziger der Taliban ist weg“.

Als die USA ihre ersten Angriffe flogen, hatte Sobeir Zediqian gehofft, dass die Taliban „in ein paar Tagen vertrieben werden“. Er hatte zusammen mit Vertretern anderer afghanischer Organisationen in Hamburg an die USA appelliert, eng mit der oppositionellen Nordallianz zusammenzuarbeiten, um tatsächlich das Versteck Bin Ladens ausfindig zu machen – und eben keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen. Den Bürgern aber, weiß Zediqian, geht es sehr schlecht: „Seit Wochen hat in Kabul kein Mensch mehr schlafen können, weil Tag und Nacht Bomben einschlagen“.

Azgarkhil Mangal von der „Afghanischen Gemeinschaft“ mahnt, „vorsichtig Stellung zu nehmen. Die ganze Welt ist zur Besonnenheit aufgerufen“. Statt Kabul zu bombardieren, hätten die USA den Widerstand innerhalb der afghanischen Bevökerung und den Nachbarländern gegen das Taliban-Regime stärken sollen. „Jetzt ist es dafür zu spät. Alle suchen Schutz.“ Um das Chaos zu beseitigen und Gespräche zu ermöglichen, müssten die Bombardements umgehend eingestellt werden.

Auch viele nicht aus Afghanistan stammende Muslime hatten zunächst Verständnis dafür gezeigt, dass „die Hintermänner der Terroranschläge bestraft werden“. Denn deretwegen, so der stellvertretende Vorsitzende des „Rates der islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura)“, Mustafa Yoldas, seien die Blicke der hiesigen Bevölkerung auf Muslime „anders geworden“. Mittlerweile aber sei deutlich, dass allein die Zivilbevölkerung Opfer des Krieges sei. Und viele Muslime würden sich inzwischen die Frage stellen, „ob man Unrecht mit Unrecht vergelten darf“. Es sei kein Unterschied, ob Menschen im World Trade Center oder die Zivilbevölkerung in Afghanistan getötet werde. „Ich weiß nicht, ob Bundeskanzler Schröder noch mit gutem Gewissen hinter seinem Satz stehen kann, dass er die USA bedingungslos unterstützt.“

Yoldas fordert die Weltgemeinschaft auf, die USA zum Stopp der Bombardements zu bewegen. Muslimen sei es derzeit nicht möglich, mit ihrem Protest gegen den Krieg auf die Straße zu gehen: „Sie stehen unter enormem Druck.“ Man sei froh, dass es hier keine Hetzjagden auf Anhänger des Islam gebe, wie es in den USA der Fall gewesen ist. Demonstrationen aber könnten „rechte, gewalttätige Gegenaktionen“ ermöglichen, und um das zu riskieren, seien viele Muslime in Hamburg „zu eingeschüchtert“.

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