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„Das Wahlversprechen war eine Lüge“

Manfred Claudi, Direktor der Lina-Morgenstern-Gesamtschule in Kreuzberg, sieht Einsparmöglichkeiten in der Schule – aber nicht nach dem Gießkannenprinzip. Von der Politik fühlt er sich hintergangen, von deren Sparideen hält er nichts

taz: Sie sollten eine Lehrerquote von 105 Prozent haben, Herr Claudi.

Manfred Claudi: Das liest man in der Zeitung – davon haben wir in den letzten Jahren nur träumen können. Das ist in Kreuzberg nicht realisiert.

Wie hoch ist der Krankenstand bei den Lehrern?

Wir haben mehrere Langzeiterkrankte, einer ist seit zwei Jahren nicht mehr gekommen.

Die Schüler freuen sich doch über Unterrichtsausfall.

Die Freude ist immer nur kurz. Schon beim zweiten Mal werden sie unruhig – und beim dritten Mal protestieren sie. Schon in der 7. Klasse!

Was wäre, wenn 1.200 Lehrerstellen gekürzt würden?

Für die Sozialarbeit, die wir an sozialen Brennpunkten leisten sollen, würde bei einer Stundenerhöhung die Zeit fehlen. Wenn das Schulleben hektischer wird, weil die Lehrer mehr Unterricht geben müssen, funktioniert zum Beispiel die eingeforderte Werteerziehung nicht mehr.

Werden Sie hintergangen?

Bis einen Tag vor der Wahl wird versprochen, Bildung wird von allen Sparmaßnahmen ausgenommen. Keine acht Tage danach erweist sich das als glatte Lüge. Das ist unredlich.

Erleben Sie so etwas öfter?

Natürlich: Zwischen öffentlichem Bekunden und Handeln liegen oft Lichtjahre. Vor der Wahl erklärt der Staatssekretär, man müsse Ganztagsschulen ausbauen. Jetzt höre ich, es gäbe Überlegungen, dort zu sparen.

Geht Sparen an Gebäuden?

Nein. Die sind oft so marode, dass Sparen dort zu teuer käme. Aber: Für Millionen bekommen die Schulen Computer. Warum muss jedoch ein Studienrat mit A 14 dann die Schrauben drehen, um Laufwerke auszutauschen? Man kann sparen, aber nicht nach dem Gießkannenprinzip, bei dem die Grundfunktion der Schule außer Kraft gesetzt wird.

Wird es immer schlimmer?

Nein, aber das alles ist eben kein Zufall: Ein Effekt des Sparens ist, dass die Berliner Lehrerschaft überaltert ist. Je älter man ist, desto höher ist die Krankheitsquote: Der vermeintliche Spareffekt durch eine Stundenerhöhung wird aufgefressen.

Hoffen Sie auf 2010, wenn es 80.000 weniger Schüler gibt?

Die Finanzminister haben gesagt, sie wollten mit den frei werdenden Mittel nicht die pädagogische Lage in den Schulen verbessern, sondern sie einsparen.

Die Parteiexperten haben zuvor das Gegenteil versichert.

Eben. Wo ist da Redlichkeit?

Interview PHILIPP GESSLER

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