: Jede Menge „Wenn“
Angeblich planen die USA eine Friedensinitiative im Nahen Osten. Wenn ja, wird sie wohl scheitern. An Palästinensern, Israelis und jüdischer Lobby in den USA
Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass die USA eine neue Friedensinitiative im israelisch-palästinensischen Konflikt planen. Schließlich gab es ein paar wohlwollende Äußerungen von Präsident Bush über einen palästinensischen Staat und einige durchgesickerte Informationen in ausgesuchten israelischen Medien. Die Gerüchte besagen, dass die USA Arafat und Scharon bald ein ausgereiftes Friedenspaket präsentieren würden, um die weltweite Koalition im neuen Krieg gegen den Terrorismus zusammenzuhalten.
Angeblich wird eine Pax Americana angestrebt, die die Pläne Clintons wieder aufnimmt. Vorgesehen ist ein unabhängiger, souveräner palästinensischer Staat in den Grenzen vom 4. Juni 1967. Von diesem Gebiet soll Israel allerdings etwa 4 Prozent des Westjordanlands erhalten, weil dort inzwischen 80 Prozent der jüdischen Siedler leben. Die Details sind jedoch verhandelbar. Jerusalem würde geteilt, nach dem Motto „Was arabisch ist, kommt zu Palästina – und was jüdisch ist, zu Israel“. Daraus folgt, dass die neuen Stadtteile und Siedlungen, die seit 1967 in Ostjerusalem errichtet wurden, Israel zugeschlagen würden. Die drei nichtjüdischen Viertel der Altstadt und der Rest von Ostjerusalem würden zu Palästina gehören. Dies bedeutet, dass der Haram al-Scharif (Tempelberg) palästinensisch würde, während die Klagemauer israelisch wäre. Der Clinton-Plan formuliert auch erneut Prinzipien der gegenseitigen Anerkennung. Außerdem verpflichten sich beide Seiten, in Frieden zu leben. Es gibt allerdings keine klare Aussage, wie das Flüchtlingsproblem gelöst werden soll.
Was würden Scharon und Arafat nun tun, was würde passieren, wenn die Amerikaner plötzlich sagen würden: „Gentlemen, dies ist unser Plan, unterzeichnen Sie dort unten!“? Beschäftigen wir uns zunächst mit der Haltung der Palästinenser, da diese sehr viel deutlicher als jene der Israelis ist. Zu vermuten ist, dass die Palästinenser der Pax Americana zustimmen würden – falls sie wenigstens 96 Prozent des Westjordanlandes, wirkliche Souveränität – auch über Ostjerusalem – und die Kontrolle über Haram al-Scharif erhalten und der vollständige Abzug Israels aus dem Gazastreifen garantiert ist. Wichtig wären auch Friedensgarantien in Form von US-amerikanischen oder anderen Bodentruppen, die als Puffer zwischen ihnen und den Israelis dienen. Vermutlich könnten die Palästinenser mit einer verzögerten Lösung des Flüchtlingsproblems leben, falls die USA zusichern, dass es an einem festgelegten Datum wieder verhandelt wird.
Die Position Israels ist komplexer. Zunächst ist klar, dass Scharon jeden US-Plan zurückweisen wird, der Clintons Initiativen aufnimmt. Vergeblich wird Scharon versuchen, die Welt davon zu überzeugen, dass damit Israel zerstört werden soll. An Scharons Abwehrpolitik wird die Koalition der nationalen Einheit zerbrechen; für Peres und seine Kollegen wäre endlich der Weg frei, die Regierung zu verlassen.
Vermutlich würde sich die Mehrheit der Israelis wieder einer Friedensbewegung anschließen, wenn sie wirklich glauben könnten, dass es bei den Palästinensern einen echten Verhandlungspartner gibt. Wie die Palästinenser, so würden auch die Israelis einen Grenzpuffer verlangen: Amerikanische Soldaten müssten gemeinsam mit britischen und anderen Truppen das Abkommen sichern (skandinavische Soldaten zum Beispiel sind immer gut, ein paar andere europäische, einige ägyptische oder türkische würden ebenfalls positiv aufgenommen).
Könnte Scharon an diesem Friedensprozess beteiligt werden? Die Antwort ist: Wahrscheinlich nein. Es sei denn, die Amerikaner könnten den Palästinensern einen Plan schmackhaft machen, der den israelischen Rückzug auf fünf Jahre oder mehr ausdehnen würde, während die Palästinenser damit beschäftigt wären, friedlich einen Staat aufzubauen. Wenn der Plan Jerusalem und die Flüchtlinge erst mal herauslassen würde, könnte Scharon mitmachen (zugegeben: eine Reihe von „Wenn“). Der entscheidende Punkt für Scharon wäre aber das sofortige Ende der palästinensischen Intifada. Würde auch noch Jerusalem von den Verhandlungen ausgenommen, könnte er dies seinen Anhängern als harten Verhandlungserfolg verkaufen.
Könnte Arafat Abstriche von seinen Forderungen machen? Wahrscheinlich ebenfalls nicht. Aber wenn der amerikanische Plan die palästinensische Souveränität über 96 Prozent des Westjordanlands garantieren würde, auch wenn die Umsetzung fünf Jahre dauern würde, wenn Ostjerusalem im sechsten Jahr garantiert hinzukommen würde und wenn dann amerikanische und andere ausländische Truppen im Puffer stationiert würden – dann könnte Arafat auf genügend politische Erfolge verweisen, um die Intifada zu beenden und einen Sieg auszurufen.
Ist es wahrscheinlich, dass irgendetwas davon eintreffen wird? Die Antwort ist wieder: Wahrscheinlich nein. Der amerikanische Plan wird zunächst die wichtigen Personen, Gruppen und Gremien passieren müssen. Danach wird er so verwässert sein, dass niemand mehr glaubt, dass er die Region aus ihrem selbst auferlegten Verhängnis befreien könnte. Präsident Bush und seine Kollegen in Washington werden ernst nehmen müssen, dass jeder Druck auf Israel im US-Kongress starke Opposition hervorrufen wird, da die proisraelische Lobby vor allem über das „American Israel Public Affairs Committee“ alle Hebel in Bewegung setzen wird.
Allerdings sollte man nicht den Meinungsumschwung in der amerikanischen Öffentlichkeit außer Acht lassen. Wie kürzlich eine Umfrage im Wochenmagazin Newsweek ergab, glauben inzwischen die meisten US-Bürger, dass die Hauptursache für den verbreiteten Amerika-Hass in der islamischen und arabischen Welt die US-Unterstützung für Israel ist. Viel wird auch vom Erfolg des Anti-Terror-Kriegs abhängen, der wahrscheinlich lange dauern wird. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass die USA das schreckliche Gesicht des fundamentalistischen Terrors nicht zum letzten Mal gesehen haben. Diese Faktoren könnten die USA ermutigen, Druck auf Israel und die Palästinenser auszuüben, um zu einem Abkommen zu gelangen – trotz der Opposition, die das rechte jüdische Establishment im Kongress schüren dürfte.
Dieses neue amerikanische Engagement wäre zu begrüßen – aber nur, wenn es beide Seiten gleichermaßen unter Druck setzt. Seit die Intifada begonnen hat, ist zu bezweifeln, dass Israelis und Palästinenser sich selbst einigen können. Das Vertrauen existiert nicht mehr, das für fruchtbare bilaterale Verhandlungen nötig wäre.
Möglich, dass der 11. September einen Wendepunkt der US-Friedenspolitik im Nahen Osten markiert. Ironischerweise könnte der fundamentalistische islamische Terrorismus den israelisch-palästinensischen Friedensprozess wieder ankurbeln und Israel erneut zum regionalem Akteur im Nahen Osten machen. GERSHON BASKIN
Übersetzung aus dem Englischen: Karin Gabbert
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