piwik no script img

Macht contra Sehnsucht

Rückgriff auf gestrichene Partien: Peter Konwitschny inszeniert an der Staatsoper Giuseppe Verdis sprödes Meisterwerk Don Carlos  ■ Von Dagmar Penzlin

Morgendämmerung. Der Groß-inquisitor betritt den Raum. Den blinden Greis stützen Mönche. Nichtsdestotrotz verrät uns die Musik: Dieser Mann ist extrem gefährlich. Unisono drohen die tiefen Streicher, und die Posaunen tönen unheilvoll. Gut, dass der König kein Duckmäuser ist. Das gespens-tische Treffen der beiden mächtigen Männer zählt zu den Dreh- und Angelpunkten in Giuseppe Verdis Don Carlos. Denn in dieser Oper geht es um die Abgründe von Macht und darum, wie diese Mechanismen Menschen zermürben.

Ein Thema, bei dem Regisseur Peter Konwitschny in der Regel zu Hochform aufläuft. An der Staatsoper öffnet sich am Sonntag der Vorhang zur Premiere seiner mit Spannung erwarteten Inszenierung von Verdis sprödem Meisterwerk. Doch damit nicht genug: Zu hören ist dann die zurzeit umfangreichste Fassung des Stücks. Rund viereinhalb Stunden reine Spielzeit bietet diese französische fünfaktige Originalversion. Sie umfasst auch Passagen, die der Komponist schon vor der Uraufführung am 11. März 1867 streichen musste, weil das Publikum der Pariser Oper ansons-ten den letzten Zug der Vorortbahn verpasst hätte. Dass dadurch wichtige Schlüsselszenen und -momente wegfielen, darauf pfiff man damals.

Nicht so Konwitschny und Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher. Da die Hamburger Neuproduktion gerade auch die politische Dimension des Don Carlos in seiner ganzen Vielschichtigkeit aufzeigen will, ist der Rückgriff auf die gestrichenen Partien nur konsequent. So wirft gleich zu Beginn der Einleitungschor ein Schlaglicht darauf, wie die Holzfäller und ihre Familien unter dem Krieg leiden, den Frankreich und Spanien gegeneinander führen. Auch der ursprünglich erste Auftritt der Tochter Heinrichs des II., Elisabeth von Valois, fällt üblicherweise weg. In der von Konwitschny und Metzmacher eingerichteten Fassung trifft sie hingegen direkt auf die Waldarbeiter und sieht das Elend.

Vor diesem Hintergrund entspinnt sich dann das Liebes- und Polit-Drama auf der Opernbühne noch schlüssiger. Elisabeth verliebt sich zwar in Don Carlos, den spanischen Thronfolger. Doch als sie seinen Vater, König Philippe II., aus politischem Kalkül heiraten soll, willigt die junge Frau ein, denn sie weiß um ihre Verantwortung für das Volk: Diese Heirat bringt Frieden, also gibt sie dem ungeliebten Mann ihr Ja-Wort. Überhaupt hat der italienische Komponist Friedrich Schillers Vorlage konsequent weitergeschrieben, indem er das Aufgeriebensein zwischen der Sehnsucht nach privatem Glück und den gesellschaftlichen Zwängen mit seinen Mitteln noch weiter zuspitzte. Bei Schiller bleibt hingegen der Typus der bürgerlichen Familientragödie aus dem 18. Jahrhundert bestimmend. Darauf weist der Musikschriftsteller Ulrich Schreiber hin. So lehnt sich im deutschen Original beispielsweise Don Carlos mehr aus persönlichen Gründen gegen seinen Vater auf, während Verdis Titelheld auch ein politischer Kopf ist, der sich aus Überzeugung für Flandern einsetzt. Angestachelt dazu hat ihn sein Freund, der freiheitlich gesinnte Marquis von Posa. Und als ein Stück Utopie verstand Verdi schließlich die Schlussszene. Anders als bei Schiller rettet hier die phantomartige Erscheinung von Karl V. Don Carlos vor dem Zugriff der Inquisition.

Kompositorisch gelang dem versierten Opernmagier mit seiner vierten Schiller-Vertonung ein aufregender Mix zwischen italienischer Tradition und französischer Grand Opéra. Die musikalisch differenziert ausgeloteten Charakterstudien verlangen nach echten Sängerdarstellern. Auf der Besetzungsliste für die Hamburger Neuproduktion drängeln sich die Debütanten. So singt etwa der amerikanische Bass Robert Hale erstmals den gebeutelten König, und die junge Sopranistin Danielle Halbwachs wagt sich an das Psychogramm Elisabeths.

Knapp sieben Wochen Probenzeit liegen jetzt hinter Konwitschny und dem Ensemble. Er hat zwar schon viele Verdi-Opern inszeniert, doch noch nie den Don Carlos. Im Haus an der Dammtorstraße sorgte der 56-Jährige bereits fünf Mal mit seinen unbequemen Deutungen vermeintlich wohlbekannter Stü-cke für Aufruhr. Gerade ist ein Buch über den mehrfach ausgezeichneten Regisseur erschienen. Unter anderem analysiert darin der Hamburger Musikwissenschaftler Peter Petersen ebenso feinsinnig wie präzise Konwitschnys Inszenierungen für die Staatsoper.

Sonntag (A-Premiere), 17 Uhr; Mittwoch (B-Premiere), 18 Uhr, Staatsoper. Weitere Vorstellungen: 13., 18., 21., 25., 28. November, jeweils 18 Uhr. Frank Kämpfer (Hg.): Peter Konwitschny, Regisseur. Hamburg 2001, 242 Seiten, 48 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen