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„Einige Leute sind ausgeflippt“

■ Bremens Ausländerbeauftragte Dagmar Lill warnt vor Vorverurteilungen nach den Terrorattacken in den USA und mahnt zu behutsamem Vorgehen

Seit den Anschlägen in den USA hat sich die Welt geändert – auch für die in Bremen lebenden MigrantInnen. Teile der CDU fordern ein Verbot der islamischen Gemeinde Milli Görüs, Dateien von Universitäten, Krankenkassen oder Fluggesellschaften dürfen seit einer Woche auch in Bremen nach potenziellen terroristischen „Schläfern“ gerastert werden. Gestern stellte die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill ihre Aktivitäten der laufenden Legislaturperiode vor. Die taz fragte, ob sie dem neuen Klima gegenüber AusländerInnen etwas entgegensetzen kann.

taz: Was sagen Sie zu Forderungen aus der CDU, die in Bremen 900 Mitglieder zählende islamische Gemeinde Milli Görüs zu verbieten?

Dagmar Lill: Ein Verbot von Milli Görüs in Bremen halte ich für falsch. Unsere Arbeit zeigt uns, dass diese Vereinigung regional differenziert sehen muss. Hier in Bremen engagieren sich viele junge liberale Kräfte für Milli Görüs. Es wäre fatal, wenn deren Arbeit nicht fortgeführt würde.

Ist Bürgermeister Scherf „naiv“, wenn er sich öffentlich mit Milli Görüs trifft – dies meint CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff.

Auf gar keinen Fall.

Ist es dann auch falsch, dass der Verfassungsschutz Milli Görüs beobachtet?

Ich gehe davon aus, dass der Verfassungsschutz alle islamischen Vereinigungen in Bremen im Auge hat. Außerdem würde ich nicht ausschließen wollen, dass einzelne Moslems auch in Bremen fanatische Zielsetzungen haben. Umso wichtiger ist es, den Dialog mit allen Gruppen fortzuführen und die liberalen Kräfte innerhalb des Islam zu stärken. Sonst stärkt man nur die Hardliner und schafft falsche Solidaritäten.

Die Rasterfahndung in Bremen ist angelaufen. AStA und Professoren sprechen von einem „Generalverdacht“, unter den somit alle arabischen Studenten gestellt würden. Was meinen Sie?

Das sehe ich nicht so. Die Dateien werden schließlich sehr differenziert durchgeforstet. Es geht dabei nicht nur um Kriterien wie „Student, Ausländer“, da wird behutsam vorgegangen. Aber Fahndungen der Polizei dürfen natürlich nicht zu Vorverurteilungen führen. Wir wissen von AusländerInnen, bei denen die Polizei sich ziemlich ungeschickt gemeldet hatte. Diese Leute wurden direkt gefragt, ob sie etwas mit Bin Laden zu tun hätten. Da fehlt oft das Fingerspitzengefühl.

Auch im Alltagsleben zieht mehr Diskriminierung ein. Moslems erzählen von Mobbing auf dem Arbeitsplatz und auf der Straße.

Tatsächlich gab es bis zum 11. September einen positiven Trend hin zu weniger Diskriminierung. Leider sind seitdem einige Leute ausgeflippt. Vielleicht ist ein biss-chen mehr Vorsicht auf Seiten der Deutschen nachzuvollziehen. Aber nicht diese Vorverurteilungen.

Gut die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Gerade haben Sie Ihren Tätigkeitsbericht im Ausländerausschuss vorgestellt. Was waren Ihre wichtigsten Aktivitäten?

Beim Thema Abschiebegewahrsam haben wir durch eine Konferenz der Ausländerbeauftragten des Bundes in Bremerhaven eine gesetzliche Grundlage für die Abschiebehaft geschaffen. Das vorliegende Gesetz ist immerhin ein Kompromiss dessen, was wir wollten. Ein weiterer Punkt ist der Umgang mit geduldeten Flüchtlingen. Allein in Bremen gibt es 3.000. Hier hoffe ich auf den Entwurf von Bundesinnenminister Schily. Außerdem sollte sich Innensenator Böse endlich dieser Zielgruppe annehmen. Ich bin überzeugt, dass wir die Mehrzahl der geduldeten Personen nicht ausreisen lassen dürfen. Da liegt viel explosives Potenzial drin.

Wobei helfen Sie Ausländern eigentlich konkret?

Wir arbeiten natürlich eng mit der Senatskanzlei zusammen. Außerdem greifen wir bei vielen Abschiebefällen ein. Wichtig sind uns auch die gut 500 von Abschiebung bedrohten so genannten kurdischen Libanesen in Bremen. Leider hält sich Bürgermeister Scherf da raus, da er meint, der Innensenator sei zuständig. Zugegeben, da habe ich noch keine Erfolge. Wir haben schließlich eine große Koalition.

Interview: Kai Schöneberg

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