: Geweiht rauchen
Der Pfarrer kommt barfüßig, Smudo macht digitale Fotos und ein Autor wird live entlohnt. Aufzeichnungen aus der Höhle eines Medienlöwen
von FALKO HENNIG
Etwas armselig ist der Künstlerraum für Benjamin von Stuckrad-Barres Literatursendung. Smudo und ein bärtiger Mönch sitzen darin, als ich eintreffe, „Smudo!“ und „Bruder Paulus!“, stellen sie sich vor. Ein junger Mann, eher klein und zierlich, kommt herein, „Kracht!“, sagt er und reicht jedem die Hand. Ob er Olaf Kracht sei, will Smudo wissen. „Nein, um Gottes Willen, der ist doch vom ,Heißen Stuhl‘!“ wehrt Christian Kracht ab. Bruder Paulus will wissen, ob er ein Buch geschrieben hat, ach?, fünf schon. Und heiße Reportagen? Nein, Reisereportagen, eher langweilige. Kracht verschwindet wieder.
Smudo macht digitale Fotos und versendet sie sofort mit Laptop und Hypertelefon. Bruder Paulus liest in der Bibel. Smudo trägt ein rotes Sweatshirt auf dem in weißen, verschlungenen Buchstaben „four music“ steht und sitzt auf dem roten Sofa, das die Form gigantischer Lippen hat. Neben ihm liegen seine dicke Brieftasche, eine Mütze, dann auch seine umfangreiche technische Ausrüstung. Bruder Paulus erklärt alles: „Das nennt sich Konvent, in Frankfurt, Liebfrauen. Mache ,Das Wort zum Sonntag‘ auf Sat 1.“ Unter seiner braunen Kutte hat er eine Jeans an, trotz des herbstlichen Wetters ist er barfüßig in den Sandalen: „Im Winter gibt’s auch Strümpfe.“
„Wusstest du, dass ,Hanuta‘ Haselnusstafel bedeutet?“, fragt Smudo mich. Nein, wusste ich nicht. Ein anderes Buchstabenrätsel gibt Frau Göpfert vom C. H. Beck Verlag auf, die Vokale sollen in einem Wort in alphabetischer Reihenfolge auftauchen. Bruder Paulus kommt auf „Pfarreiobhut“, was allgemein als typisch kirchlich eingestuft wird. Frau Göpfert behauptet: „Magermilchjoghurt ist besser als Pfarreiobhut.“ Ich frage nach den Knoten in Paulus’ Gürtelseil. Sie stehen für seine drei Gelübde Ehelosigkeit, Gehorsam und Armut, und nein, das gäbe es nicht, dass jemand mit mehr Gelübden mehr Knoten in seinem Seil habe. Wegen Frauen, Macht und Besitz seien schon Kriege geführt worden, nun gilt: Gehorsam gegen Gott und den Menschen, in denen er sich offenbare.
Küppersbusch kommt mit einem Begleiter, setzt sich neben Smudo. Er werde oft mit Ulrich Wickert verwechselt, behauptet er; der Wickert, mit dem Smudo mal zusammen bekifft in der Achterbahn gefahren sei. Weihrauch sei sehr berauschend, weiß Paulus, besonders zu Ostern.
Kurz nach sieben Uhr ist es soweit, eine Traube junger Menschen begehrt Einlass, wir dürfen vor. Der Saal ist mit Sitzkissen ausgestattet, soll wohl jugendlich wirken, es gab in den 70ern im ZDF auch mal so ’ne Talkshow, mit schwarz geschminkten Frauen und Themen wie „Hilfe, mein Sohn ist schwul!“ Sagt die Göpfert tatsächlich, dass sie noch nie ein unverlangtes Manuskript angenommen hat? Ist sie da noch stolz drauf?
Als Gag haben sie sich überlegt, mir meine Spesen aus einer Kasse auszuzahlen, dadurch muss es so wirken, als würde ich für diesen Auftritt bezahlt, was ja auch nur angemessen wäre, aber ich bekomme ja gar nichts, nur meine Auslagen. Das wird doch niemand von diesen jungen Leuten verstehen und ich bleibe als dieser geldgierige Kriminelle in Erinnerung, der, einmalig in der Fernsehgeschichte, vor laufender Kamera entlohnt wird.
Nach der Sendung höre ich den Mitte-20-Jährigen auf dem Flur zu: „Dieses natürliche Lachen, das kommt von ihren lateinamerikanischen Eltern, die in Griechenland gelebt haben.“ Die weiße Strukturtapete lässt Rigipswände frei, auf einem Aufkleber steht: „MTV, Selig sind die Lauten“. Unter den Deckenbögen strahlen Leuchtstoffröhren. „Wo bist du her?“ - „Groß-Karow, was machst du in Rosenheim?“Auf einem Stahlrohrregal steht ein vereinsamter Computerbildschirm. „Warst du auf Demos?“ – „Einmal 89 auf’m Castor.“ – „In grüner Kutte? Hätte nie gedacht, dass ich mal so einen kennenlerne.“ Allgemeines Lachen. „Damals in Kreuzberg dasselbe. Da ist einer stehengeblieben und sagte: ,Pass auf, das geht ganz schnell!‘. Das war meine Erste-Mai-Erfahrung. Und du warst bei der NVA? Hast ,Ja!‘ gesagt?“ –„Ich wurde nicht gefragt, und das war auch gut so. Ich habe die gefragt.“ – „Was warste?“ – „Tastenficker, es gab nur Kirschkernspucker und Tastenficker.“ Sie fragen sich nach Zigaretten, da sie nicht fündig werden sprechen sie mich an: „Hast du Zigaretten?“ „Nein“, erwidere ich, „ich rauche nur noch Rauschgift.“ – „Was’n?“ - „Was man so reinbröselt und so Blätter.“ - „Ah, Coca!“ Allgemeines Gelächter. „Tee!“
Heute abend 22 Uhr, „Benjamin von Stuckrad-Barres Lesestunde“ auf MTV
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