: Regelfall: Profiteur
Eine Studie beleuchtet zum ersten Mal die Rolle der Berliner Anwälte bei der Verfolgung jüdischer Kollegen. Das erschreckende Fazit: Im damaligen Konkurrenzkampf war ihnen jedes Mittel recht
von ULRICH SCHULTE
Erich Deus war wie viele seiner Kollegen. Jung, ehrgeizig, ein Rechtsanwalt, der es zu etwas bringen wollte. Deus wählte den sichersten Weg. Am ersten Mai 1933 trat er der NSDAP bei, der Beginn einer profitablen Karriere. Sein Konto schwoll stetig, aus mageren 1.000 Reichsmark im Monat wurden nach wenigen Jahren fast 15.000. Trotz der gewinnbringenden Kungelei mit dem braunen Regime bekam er nach dem Krieg seine Zulassung als Anwalt wieder – in Berlin.
Eher Regelfall denn Ausnahme, Deus war – wie die meisten Berliner Anwälte – ein „typischer Profiteur und Mitläufer“, heißt es in der Studie „Berliner Rechtsanwälte während des Nationalsozialismus“, die der Berliner Anwaltsverein heute veröffentlicht. Während die Verfolgung jüdischer Anwälte während des dritten Reiches gut dokumentiert ist, beleuchtet die Historikerin Angelika Königseder (Interview unten) erstmals die Rolle Berliner Anwälte bei der Verfolgung jüdischer Kollegen.
Die Ergebnisse der dreijährigen Forschungsarbeit am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität erschrecken selbst den Auftragsgeber: „Ich bin überrascht, wie aktiv Anwälte an der Verfolgung mitgewirkt haben“, sagt Uwe Kärgel, Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins. „Die nichtjüdische Anwaltschaft hat überwiegend versagt.“
Auch die Anwaltsverbände und die Rechtsanwaltskammer hätten keinen Widerstand gegen die Untaten des Nazi-Regimes geleistet, so Kärgel weiter. Mehr noch: „Es gab schwarze Listen. Einzelne Anwälte haben Kollegen in Berlin angeschwärzt und dadurch selbst Karriere gemacht“, so Kärgel. Vielen kam die Verfolgung der – laut Nazi-Propaganda – „jüdischen Advokaten“ gelegen, beseitigte sie doch unliebsame Konkurrenz. Anfang 1933 waren die Zeiten schlecht, zu viele Anwälte kämpften um wenige Prozesse. Konkurrenzneid müsse als wichtigstes Motiv für den Antisemitismus der Anwaltschaft betrachtet werden, schreibt Königseder. Eine wichtige Geldquelle chronisch knapper Juristen war das so genannte Armenrecht, eine Art staatlich finanziertes Pflichtverteidiger-Programm. Schritt für Schritt wurden jüdische Anwälte aus dem gewinnbringenden Geschäft verdrängt.
Wenig ruhmreich ist auch die Vergangenheit der Berliner Anwaltskammer selbst: Sie schickte laut Studie bereits im Mai 1933 eine Liste mit Anwälten an das Justizministerium, um ein Berufsverbot wegen „kommunistischer Betätigung“ durchzusetzen – darauf standen Namen wie der von Hans Litten, ein den Nazis verhasster, jüdischer Verteidiger. Er hatte Hitler 1931 in einem Prozess gegen SA-Schläger im Kreuzverhör blamiert. „Wie eine hysterische Köchin“ habe Hitler geschrien, erzählte er später. Litten erhängte sich nach Folterungen und KZ-Haft 1938. Neben ihm prägten jüdische Staranwälte wie Erich Frey oder Rudolf Olden die juristische Szene der Hauptstadt in der Weimarer Zeit – von 3.400 praktizierenden Juristen waren 54 Prozent jüdischen Glaubens.
Der detaillierte Forschungsbericht wird auch in heutigen Kanzleien sorgfältig gelesen werden. Zwar existieren die Kanzleien der NS-Zeit namentlich nicht mehr, dennoch vermutet Uwe Kärgel: „Nicht wenige Berliner Kanzleien haben Wurzeln in Sozietäten, die im dritten Reich eine unrühmliche Rolle spielten.“
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