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Von der Natur lernen

Mit dem Einsatz von Technik wollte der Mensch die Natur in den Griff bekommen – und hat sich damit neue Probleme geschaffen. Die Wanderausstellung „Bionik – Zukunfts-Technik lernt von der Natur“ zeigt, dass es auch anders geht

„Die Zeiten, in denen wir Natur mit unserer Technik überwinden mussten, sind vorbei.“

Es gibt schon merkwürdige Vertreter im Reich der Tiere: Der Wüstensandfisch oder Sandskink schwimmt nicht im Meer, sondern in den hoch aufgetürmten Sanddünen der Sahara. Bionik-Professor Ingo Rechenberg von der Technischen Universität Berlin fragte sich, wie schafft die kleine Eidechse das bloß und reiste mit seinem Team in die Wüste. Die Ausgangsthese der Forscher war: Wenn die Evolution auf Energiesparen setzt, dann müssten doch die Schuppen des Sandfisches einen Mechanismus aufweisen, der Festkörperreibung, in diesem Fall Sandreibung, herabsetzt. Und in der Tat sieht die Haut des Tieres wie poliert aus.

Erste Messungen bestätigten: Die Natur hat im Vergleich mit poliertem Stahl, Glas und Nylon die beste Lösung hervorgebracht. Die Schuppenoberfläche des Wüstensandfischs wird zu einem neuen Forschungsobjekt. „Zunächst haben wir ja nur ein Phänomen beobachtet. Nun wollen wir herausfinden, warum die Oberfläche der Sandfischhaut so eine geringe Festkörperreibung hat. Diese Anregung aus der Natur könnte dann beispielsweise helfen, die Eigenschaften trockener Gleitlager zu verbessern“, erläutert Rechenberg das typische Vorgehen der Bioniker.

Die Geschichte der Innovationen für die Technik aus der Natur bis zum heutigen Stand ist nun in Hagen zu bestaunen. Angefangen von den ersten bionischen Ansätzen, wie dem Flugapparat Leonardo da Vincis, bis zu Lauron II, dem neuronal gesteuerten laufenden Roboter nach dem Vorbild der Stabheuschrecke.

Den Hauptgrund für den großen Erfolg der Ausstellung, die das Mannheimer Landesmuseum für Technik und Arbeit in Zusammenarbeit mit dem SiemensForum München/Berlin auf die Beine stellte, sieht Initiator und Leiter Reiner Bappert darin, dass sowohl Laien als auch Naturwissenschaftler und Ingenieure gleichermaßen angesprochen werden. „Wahrscheinlich kann sich jeder daran erinnern, etwas in der Natur beobachtet und unwillkürlich mit der Technik verglichen zu haben. Deshalb ist das Thema so interessant“, beschreibt der gelernte Maschinenbauingenieur die Faszination der Bionik.

Bewusst ist die Ausstellung so aufgebaut, dass die Besucher über die gezeigten Analogien erst einmal einen Einstieg finden. „So kennen die Besucher aus dem Alltag das technische Produkt Saugnapf und stellen dann fest, wie viel früher die Natur zu ähnlichen Resultaten kam“, erläutert Bappert. Später werden dann Vorgehensweisen und Denkprinzipien der Bionik anschaulich gemacht. Und die Besucher sind aufgefordert, selbst auszuprobieren – beispielsweise wie die Evolutionsstrategie funktioniert.

Gezeigt werden auch bereits bekannte Anwendungsversuche bionischen Wissens. Der Tübinger Paläontologe und Zoologe Wolf-Ernst Reif etwa hatte bemerkt, dass die 0,15 bis 0,5 Millimeter großen Schuppen schneller Haifischarten nicht wirklich glatt sind, sondern feine, in Strömungsrichtung verlaufende Längsrippen aufweisen.

Diese Strukturen vermindern den Strömungswiderstand, ergaben Laborexperimente. Bei Flugversuchen mit einem Airbus, den die Techniker mit einer der Haifischhaut nachempfundenen Riefenfolie überzogen hatten, wurde eine Reibungsminderung von sechs Prozent festgestellt. Daraus errechnet sich eine mögliche Treibstoffeinsparung pro Jahr und Flugzeug je nach Flugzeuggröße von 60 bis 200 Tonnen Kerosin.

Professor Werner Nachtigall von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken sieht hierin ein gutes Beispiel für gelungenes Zusammenspiel von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. „Die bisherige Lösung mit der Folie ist sicherlich nicht das Nonplusultra, aber die Grundidee wird sich in technologischer Eigenständigkeit verselbstständigen“, erläutert der Physiker und Zoologe.

Und genau darauf käme es an: Bionik bedeute eben nicht, die Natur einfach nachzuahmen oder die heutigen hochentwickelten Technologien gering zu schätzen. Und genauso wenig könne die Bionik, laut Nachtigall, das Wissen der Ingenieure einschränken oder ersetzen, denn sie ist sicherlich kein Allheilmittel, sondern ein Werkzeug, das genutzt werden kann, wo es sinnvoll erscheint.

Nachtigall plädiert für ein entspanntes Verhältnis zwischen Bionik und Technik und rät angesichts von Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung: „Da ist eine Welt von Konstruktionen, Verfahren und Evolutionsprinzipien, die man in der Natur entdecken kann und die geradezu perfekt funktioniert. Es wäre einfach unweise, dieses Wissen nicht zu nutzen. Die Zeiten, in denen wir Natur mit unserer Technik überwinden mussten, sind vorbei.“

Weiteren Auftrieb für die noch recht junge Wissenschaftsdisziplin erhoffen sich die beiden Pioniere der Bionik in Deutschland, Nachtigall und Rechenberg, durch das kürzlich gegründete und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „BionikKompetenzNetz“. Ein Ziel ist unter anderem der intensive Austausch mit der inzwischen hellhörig gewordenen Industrie.

MANFRED BURAZEROVIC

Die Ausstellung „Bionik – Zukunfts-Technik lernt von der Natur“ ist noch bis zum 24.2.2002 zu sehen. Im : Stadtmuseum Hagen, Wippermann-Passage, Eilper Straße 71-75, 58091 Hagen, Tel.: (0 23 31) 207-27 40, www.historisches-centrum.de/bionik

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