: „Das ist eine extreme Verschlechterung“
Schilys Zuwanderungsgesetz verschärft die Lage von Migranten in Berlin, kritisiert der Flüchtlingsrat
taz: Bundesinnenminister Otto Schily hat den endgültigen Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz vorgelegt. Was ist das Urteil des Flüchtlingsrats?
Georg Classen: Der Wortlaut liegt uns leider noch nicht vor. Aber wir gehen davon aus, dass mindestens 90 Prozent der Verschlechterungen aus dem letzten Entwurf auch in dem neuen stehen. Das ganze Gesetz ist also eine extreme Verschlechterung für Flüchtlinge und Migranten.
Was ist Ihre Hauptkritik?
Für die Migranten bedeutet das, dass der Zugang zum unbegrenzten Aufenthaltsrecht erheblich erschwert wird. Es werden schriftliche Sprach- und Staatsbürgerkundeprüfungen eingeführt. Der Nachzug von Kindern wird eingeschränkt, Kinder ab 14 Jahren müssen eine Deutschprüfung machen. Außerdem wird das Asylrecht beschnitten.
Welche der neuen Regelungen werden sich in Berlin besonders niederschlagen?
Die meisten Flüchtlinge in Berlin – etwa 20.000 – haben eine Duldung. Die soll durch eine Bescheinigung ersetzt werden, mit der ein generelles Ausbildungs- und Arbeitsverbot verbunden ist. In Berlin ist es auf Grund der Arbeitsmarktlage für Flüchtlinge zwar auch jetzt schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, aber ein generelles Verbot gibt es nicht. Bislang wurde zudem Flüchtlingen, die mindestens 12 Monate lang geduldet wurden, eine Abschiebung vorher angekündigt. Das wird abgeschafft.
Nach Schilys Aussagen sollen aber Duldungen durch bessere Aufenthaltstitel ersetzt werden.
Das gilt nur für diejenigen, die unter den Abschiebeschutz nach der europäischen Menschenrechts- oder Folterkonvention fallen, die also wegen Gefahr für Leib und Leben nicht abgeschoben werden können. Das wird zum Beispiel für Flüchtlinge aus dem Kosovo und aus Bosnien oder bei Palästinensern in der Praxis nicht anerkannt. Weitere Hinderungsgründe sind die illegale Einreise und der Bezug von Sozialhilfe. In Berlin sind aber fast alle dieser Flüchtlinge auf Sozialhilfe angewiesen. Nach Angaben von Pro Asyl trifft diese Regelung nur auf sechs Prozent der Flüchtlinge zu.
Was verändert sich für Migranten in Berlin?
Es wird nur noch eine große Anzahl zweckgebundener, befristeter Aufenthaltserlaubnisse geben. Bei den unbefristeten Niederlassungserlaubnissen werden die Anforderungen ähnlich hoch wie bei der Einbürgerung sein. Die neue Regelung, durch die das Alter beim Kindernachzug auf 14 gesenkt wird, wird die Migranten in Berlin besonders treffen. Hier leben in der Regel Arbeiterfamilien, die keine Möglichkeit haben, im Herkunftsland einen Deutschlehrer zu bezahlen, damit ihre Kinder eine Sprachprüfung bestehen können. Außerdem gibt es keinerlei Legalisierungsregelungen für die bis zu 100.000 Ausländer ohne Status, die in Berlin leben.
Gibt es auch etwas Positives?
Die Anerkennung von geschlechtsspezifischer und nicht staatlicher Verfolgung als Fluchtgrund. Aber das gleicht die Verschlechterungen nicht aus. Es gibt sogar neue Schutzlücken: Die Nichtanerkennung von Flüchtlingen, deren Verfolgung auf politischen Aktivitäten im Exil beruht. Und die mögliche Ablehnung des Asylantrags ohne inhaltliche Prüfung der Asylgründe, wenn der Asylbewerber verspätet bei einer ihm zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung eintrifft. INTERVIEW: S. AM ORDE
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