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„Mea culpa. Mea minima culpa“

Kunst als Sache des gesunden Menschenverstandes beobachten, analysieren und beschreiben: Zum Tod des Kunsthistorikers Sir Ernst Gombrich

„Keep it simple“, hätte seine Devise lauten können. Letztes Jahr noch lieferte sich der hochbetagte Sir Ernst Gombrich in der New York Review of Books, für die er bis zuletzt brillante Rezensionen schrieb, mit dem Historiker Fritz Stern ein kleines Leserbriefduell, das Gombrich mit den Worten schloss: „Mea culpa. Mea minima culpa.“ Nun wird sein humorvoller, selbstironischer, stets am gesunden Menschenverstand orientierter Ton im Kanon der öffentlichen Äußerungen fehlen. Am Samstag starb der Kunsthistoriker 92-jährig in London.

Die Prämisse des stets Verständlichen eines Arguments erschloss Gombrich weite Schichten von Lesern nicht nur innerhalb der Kunstgemeinde; es machte ihn vielleicht zum bedeutendsten Kunsthistoriker des Jahrhunderts. Dabei trug zu seinem weltweiten Ansehen wesentlich ein 1950 veröffentlichtes Buch bei, das Gombrich ursprünglich als Kunstgeschichte für Jugendliche verfasst hatte, bevor es sich zum Klassiker der Kunstgeschichte entwickeln sollte: In 20 Sprachen übersetzt gehört „The Story of Art“ längst weltweit zum Standard.

Gombrich schmiedete sich sein Handwerkszeug selbst. Statt auf intuitive Beurteilung einer geheimnisvoll autonomen Kunst zu vertrauen, beobachtete und beschrieb er psychologische Bedingungen der menschlichen Wahrnehmung, paarte dies mit der Fähigkeit zu einem geradezu analytisch präzisen Sehen und forderte den steten Abgleich mit einer veränderlichen Realität, die allesamt in die Betrachtung und Beurteilung von Kunst hineinspielten. Er definierte, wenn man so will, die heisenbergsche Unschärferelation innerhalb der Koordinaten der Kunst.

Gombrichs Offenheit wurde gleichwohl angesichts der Diskursfreudigkeit und Selbstreferenzialität manch moderner Kunst an ihre Grenzen geführt. Dennoch scheinen seine hellsichtige Analysen, so etwa zur „Bewegung des Schattens“, die er noch 1989 als Achtzigjähriger verfasste, das heute so selbstverständlich gewordenen Schlagwort der Interdisziplinarität mit vorbereitet zu haben.

Historische Realitäten waren es, die den bewegten Lebensweg Gombrichs im Laufe des Jahrhunderts prägten – 1909 in einem großbürgerlichen, jüdischen Elternhaus aufgewachsen, gerät er als junger Kunsthistoriker in den Kreis von Psychoanalytikern und Wahrnehmungspsychologen. Er studierte ab 1928 Kunstgeschichte bei Julius von Schlosser und promovierte 1934 über den „Palazzo del Te“. Aufgrund der sich verschärfenden politischen Situation emigriert Gombrich mit seiner Frau 1936 nach London, wo ihm das Aby-Warburg- Institut eine Forschungsstelle einrichtet. Von 1959 bis 1976 leitet er das Institut. Ausgehend von der Renaissance ist es immer wieder das Thema der Wahrnehmung, das die schier endlose Zahl seiner Veröffentlichungen bis zu seinem Tod dominiert. So entspricht der Titel der vom Foucault-Biografen Didier Eribon herausgegebenen Gombrich-Biografie nur zu gut dessen unerschöpflicher Lust Kunst anzuschauen, die man sich von manch selbstgerechtem Rezensenten wünschen würde: „Die Kunst, Bilder zum Sprechen zu bringen“. MAGDALENA KRÖNER

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