Lächeln, damit die Angst verfliegt


von KIRSTEN KÜPPERS

Ein Lächeln groß und breit und selbstbewusst. Eines, das sein Gegenüber mitnimmt auf Reisen, raus aus dem Großraumbüro, dem grauen Herbst in Frankfurt-Walldorf und rein in die weite Stewardessen-Welt. Ein Universum, von dem junge Mädchen träumen, wie es heißt. Cocktails über den Wolken, gestern Hotel in Chicago, morgen Sonne in Singapur, so sieht es dort aus. Die Flugbegleiterin Hatice Oba lächelt. Und es ist, als könne sie mit ihrem Lächeln tatsächlich eine schützende Wand bauen. Eine Mauer gegen ein neues Gefühl, das in diese heitere Welt seit dem 11. September einbrechen will. Eine Bedrohung, die auf keinen Fall rein darf.

„Mit Angst kommt man nicht weiter“, sagt die 31-Jährige. Angst soll sie nicht haben, Angst will sie nicht haben, und also hat sie auch keine Angst. Hatice Oba wiederholt diese Sätze auffällig oft. Sie lächelt. Seit sechs Jahren ist sie Flugbegleiterin bei der Lufthansa. Sechs Jahre, in denen man lernt, ein Lächeln zu perfektionieren. Mit Sorgen im Kopf könnte sie gleich den Job wechseln, erklärt sie: Angst sei in ihrer Branche einfach ein fataler Fehler.

Nicht alle Flugbegleiter bei der Lufthansa können die Angst wegschieben wie etwas Verbotenes. Als am 11. September die Bilder aus Amerika über die Monitore des Crew-Centers am Flughafen Frankfurt am Main flimmerten, sind viele Kollegen in der weiten Halle zusammengebrochen. Die Wucht der Ereignisse krachte auf die rund 20.000 deutschen Stewards und Stewardessen ein wie ein fester, dunkler Schlag. Eine Fiktion, die auf unfassbare Weise Wirklichkeit wird. Stundenlang auf Bildschirme starren, weinen, nach Hause gehen, Nachrichten gucken – nur bloß nicht in ein Flugzeug steigen.

Einige habe ein paar Tage Urlaub genommen; den Dienst quittiert hat letztlich keiner. Zu einem diffusen Gefühl der Beklommenheit gesellt sich seither jedoch die Gewissheit, als Flugbegleiter einer besonderen Risikogruppe anzugehören, der Alptraum, womöglich selbst bald als lebende Bombe eingeplant zu werden.

Trotzdem die Tour nach Oman

Hatice Oba will sich von diesen Gedanken nicht einfangen lassen. Ende Oktober hat sie gleich die Tour nach Muskat übernommen, in die Hauptstadt des Oman. Sie hätte das nicht machen müssen. Viele ihrer Kollegen weigern sich nach dem 11. September in arabische Länder zu fliegen, sie tauschen die Schichten. Aber Hatice Oba wollte erleben, wie es ist, ausgerechnet jetzt mit vielen strenggläubigen Muslims in einem Flugzeug zu sitzen. Männern mit Bart und Turban freundlich Tee zu servieren. Als sei jenes Ereignis, das die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat, gar nicht geschehen. Als gucke man seinen Fluggästen seither nicht genau in die Augen. Als suche man nicht die Sitzreihen nach den getarnten Sky-Marshalls ab, suche nicht nach etwas Blitzendem in der Hand eines Passagiers. Als habe man nicht schon beim Aufleuchten der Anschnallsignale ein deutliches Raster voll von Spekulationen über potenzielle Unruhestifter im Kopf.

Hatice Oba ist also einfach losgeflogen in den Oman. Nicht weil sie als Tochter türkisch-mazedonischer Eltern selbst dem muslimischen Glauben angehört und nicht hinter jedem Muslim gleich einen Attentäter vermutet. Sondern deshalb, weil Hatice Oba die verordnete Freundlichkeit ihrer Branche längst verinnerlicht hat. „Offenheit kommt immer gut an, selbst beim schlechtest gelaunten Passagier“, meint sie. Das klingt wie eine goldene Regel aus der Mitarbeiterschulung. Und so sind es höfliche Menschen, ein Ausflug zu einer Oase und ein schöner Seidenschal vom Basar, die als Erinnerungen zurückbleiben von dieser Reise. Nein, Hatice Oba hat keine Angst.

Über den Flugbegleitern der Lufthansa schwebt inzwischen noch eine andere konkrete Bedrohung: die Sorge um den Arbeitsplatz. Nach den Anschlägen vom 11. September zählt das Unternehmen rund ein Fünftel Passagiere weniger, die Aktien sind in den Keller gerutscht. Um den drastischen Einbruch der Einnahmen zu bewältigen, greift das Unternehmen zu harten Sparmaßnahmen. Mit einer Viertagewoche will die Konzernführung Entlassungen verhindern, auch Kurzarbeit und Kündigungen sind im Gespräch. An Bord wird bereits an Cocktailnüssen gespart, genauso an Tischdecken und Begrüßungsdrinks.

Für das Personal wird die Nervosität des Arbeitgebers vor allem an gestrichenen Flügen, gekürzten Flugstunden sowie dem Wegfall gut bezahlter Überstunden spürbar. Rund 3.800 Mark brutto hat Hatice Oba früher im Monat verdient, bis zu zehn Prozent weniger bekommt sie jetzt überwiesen. „Natürlich macht sich das im Portemonnaie bemerkbar“, klagt sie.

Hatice Oba ist eine praktische Frau, außerdem in der Personalvertretung engagiert. Über Flächentarifverträge, Winterflugpläne und Sicherheitschecks kann sie viel erzählen, mehr als über Unsicherheiten in der Gefühlswelt einer Stewardess. Denn das sind die Fragen, die ihr auch die Kollegen stellen, wenn das Telefon in ihrem Büro klingelt und klingelt und klingelt. Fragen zu allem, was den Alltag am Flughafen jetzt durcheinander wirft, der ganze Katalog neuer Sicherheitsmaßnahmen: Auf Interkontinentalflügen darf neuerdings nur vorgeschnittenes Essen und Plastikbesteck ausgeteilt werden. Die Geschäftsführung hat die Verstärkung der Cockpit-Türen in Auftrag gegeben. Die Bundesregierung schickt bereits getarnte, bewaffnete Sky-Marshalls mit. Die Passagiere müssen sich durch lange Sicherheitskorridore schieben. Die Fluglotsen werden überprüft. Die Geschäftsführung guckt die Mitarbeiterkarteien auf eventuelle Vorstrafen durch. Und niemand kann sagen, was morgen noch kommt. Die ganze wunderbare Planungssicherheit ist ja verloren gegangen, darüber regt sich Hatice Oba richtig auf: „Wer kann garantieren, dass meine Kollegin am Wochenende wirklich frei bekommt?“ Und was an den Weihnachtsfeiertagen passiert, da kennt sich auch kein Mensch aus.

Hatice Oba atmet tief durch. Flexibilität und hohe Belastbarkeit gehören zu den Einstellungskriterien. Lufthansa ist eine strenge Arbeitgeberin. Röcke müssen drei Zentimeter übers Knie reichen, große Ohrringe sind verboten, das Outfit darf nicht zu sexy sein. Man könnte als junge Frau auch genug haben von all diesem Druck.

Das Image vom Traumberuf war freilich schon lange vor dem 11. September angekratzt. Rückenschmerzen, der Zwang zur Freundlichkeit, Nachtschichten und lange Arbeitszeiten gehören zum Alltag an Bord. Die Gewerkschaftsbroschüre Flugbegleiter berichtet von den Strapazen im Zeitalter des Massenflugverkehrs. „Ernüchterung“, „Der Zauber verfliegt“ oder „Der Verkauf der Gefühle“ lauten die Überschriften.

Schwärmen vom Abenteuer

Hatice Oba lässt ihr eigenes berufliches Dasein jedoch weiterhin von einer Vorstellung des Abenteuers leiten. „Ich kann mich heute in Bangkok mit einem Leprakranken unterhalten, übermorgen in Teheran mit schwarzem Kopftuch über die Straße laufen und nächste Woche in San Francisco in einem Prunkkleid Silvester feiern.“ Hatice Oba findet ihr Lächeln wieder. Und es liegt wohl auch an einem Gefühl zu einer Elite zu gehören, dass sich etwas von stolzer Erhabenheit in ihre Stimme geschlichen hat.

Denn der Name „Lufthansa“ klingt immer noch wie ein warmes, schützendes Versprechen. Weil Hatice Oba bei Lufthansa arbeitet, machen sich die Eltern am Bodensee auch nach den Terroranschlägen keine Sorgen um sie, erklärt sie. Weil sie bei Lufthansa arbeitet, fängt sie jetzt keinen Kickboxing-Kurs an. Und weil sie bei Lufthansa arbeitet, macht sie sich auch keine Gedanken, was kommt. Um Himmels willen, was soll schon geschehen? Bei einem Unternehmen, das einen bereits beim Anflug einer leichten Erkältung nicht mitfliegen lässt, hört man mit der Zeit auf, über die Zukunft nachzudenken. Hatice Oba fährt mit den Händen beschwichtigend durch die Luft.

Später, bei einer kleinen, wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen hastigen Führung durch das Gelände der Lufthansa-Basisstation in Frankfurt begreift man, dass es in der Logik des Unternehmens wohl nur so funktionieren kann. 10.000 Stewards und Stewardessen der größten deutschen Fluggesellschaft werden vor jedem ihrer Flüge durch diese kühlen Hallen geschleust. Links Koffer abstellen, rechts Check-in am Monitor. Im Untergeschoss wartet ein geschlossenes Gefüge aus Postfächern, Schlafplätzen, Internet-Bildschirmen, Umkleideräumen und einer Sandwichbar auf die Angestellten. Unzählige Menschen in Lufthansa-Uniform verrichten hier pünktlich genau ihre routinierten Handgriffe, bevor sie als sympathische Botschafter der Firma weit hinaus in die Welt strömen. Keinesfalls darf dieses empfindliche System gestört werden. Nur ein schmaler Aufkleber auf einem Plakat an einer Säule erklärt, dass wegen der Ereignisse vom 11. September die Betriebsfeier abgesagt wird. „Es ist jetzt eben alles anstrengender geworden“, bemerkt Hatice Oba schulterzuckend. Sie lächelt. Fast als fürchtet sie, ein Ende des Lächelns könne in diesen Räumen etwas Zerstörerisches freisetzen.