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Probieren & Studieren

■ Große kostenlose Weinprobe im Ratskeller

Zwei zottelige Gesellen mit Bierfahne und Aldi-Tüte kommen aus dem Ratskeller. Unten in dem 600 Jahre alten Gewölbe gibt es eine Weinprobe. Kostenlos. Haben die beiden das verlockende Angebot wahrgenommen? Wahrscheinlich haben sie nur mal eben ihre Notdurft verrichtet. Im Bacchuskeller unter dem Rathaus tummelt sich ein anderes Publikum. Weinfreunde, Weinkenner, Weingenießer. Mehr Jacketts als Zottelbärte, gelockerte Krawatten. Der Traubentrunk sorgt für Wärme und eine gelöste Stimmung.

Der Weinkeller ist das Reich von Kellermeister Karl-Josef Krötz. Immer wenn der ehemalige Mosel-Winzer neue Weine einkauft, lädt er zum großen Probieren ein. Noch bis zum Sonntag kann man sich im Bacchuskeller verwöhnen lassen, hier einen Schluck Riesling probieren, da ein Glas Silvaner testen. Dass der Ratskeller nicht irgendein Weinlokal ist, sondern eines der traditionsreichsten in Deutschland, merkt man an der Art, wie die Weinprobe durchgeführt wird. Kein Experte, der einen ermüdenden Vortrag hält. Keine fünf Weinsorten, an denen dann alle der Reihe nach nippen. Ein gutes Dutzend Kellner wuselt von Tisch zu Tisch. Die Gäste beschreiben, was sie gern mögen. Die Kellner suchen für jeden Geschmack den passenden aus 60 neuen Weinen aus. Die richtigen Weinkenner sind die schwierigsten Gäs-te. Wenn ein Gast derart spezielle Wünsche äußert, dass selbst der Experte ins Schwitzen kommt, eilt Krötz schon manches Mal in den Weinkeller, wo rund 1200 edle Tropfen aus drei Jahrhunderten lagern. Stammkunden wollen etwas Besonderes geboten bekommen.

Probieren geht über Studieren. Wo vier Leute sitzen, stehen nicht selten vier Flaschen auf dem Tisch. Ein spritzig fruchtiger Weißwein aus einem fränkischen Bocksbeutel mengt sich im Magen mit einem schweren, roten Dornfelder und einem halbtrockenen Rosé. Wer am nächsten Morgen einen Kater hat, kann zumindest mit Sicherheit sagen, dass er am Vorabend nicht zu viel Geld ausgegeben hat.

Je später der Abend, desto jünger das Publikum. Dass junge Leute heute kaum noch Wein trinken, hält Krötz für ein Gerücht. Er sehe vielmehr einen neuen Trend. Bei vielen jungen Frauen und Männern gelte es als schick, Wein zu trinken und sich damit auszukennen. So verschieden die Gäste auch sein mögen: „Nur ganz selten kommen Leute, die sich einfach volllaufen lassen wollen, ohne zu bezahlen“, sagt der Kellermeister. Ebbe Volquardsen

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