: Und ewig lockt der leere Sessel
Der Kinomarkt in Berlin ist übersättigt. Vor allem die großen Ketten leiden an Besuchermangel. Das schafft zwar wieder Platz für unabhängige Betreiber mit anspruchsvollem Programm. Doch auch hier versuchen die Großen abzuwerben. Das CineStar im Sony Center setzt schon auf Filme in Originalfassung
von ANDREAS BECKER
„Nee, det wolln wa nich“, sagt die Rentnerin im CineStar Sony Center am Potsdamer Platz. Der Kartenverkäufer hat ihr gerade mitgeteilt, dass „Amélie“ hier nur im französischen Original zu sehen ist. Ohne Untertitel. Seit einer Woche laufen hier nur noch unsynchronisierte Filme. Gleiches bietet das benachbarte Cinemaxx schon länger, allerdings nur in Kleinstsälen. Auch die neben dem CineStar errichtete teure Techno-Attraktion Music Box kann niemanden mehr anlocken. Still und leise wurden ihre Innereien vor Ort verhökert. Der Raum wartet nun leer auf Touristen.
Selbst wenn der Berliner plötzlich sein Englisch verbessert, um den Berliner Kinomarkt steht es schlecht. Als sei Kapitalismus ein einziges Feld zur Geldvernichtung, haben die großen der Branche in den letzten fünf Jahren Multiplexe aus dem Boden gestampft. Die Sesselzahl verdoppelte sich trotz diverser Schließungen auf rund 60.000.
Als der Trend schon dem Ende entgegen ging, legt die Treuhandgesellschaft TLG noch nach. Sie setzte gegen Proteste das Kino in der Kulturbrauerei durch und engagierte sich zu schlechter Letzt am Alex. Ansonsten wurden die Multis von Abschreibungsfirmen und Einkaufcenter-Betreibern gegen jede Vernunft vor allem im Osten auch gern an die Peripherie gesetzt. Merkwürdige Standorte wie am Treptower Park machen den Besitzern keine Freude. Hier ist es die Ufa, die Filme gern mal vor drei, vier Leuten zeigt. Die Firma hat zwar schon Marmorhaus und Gloria gekillt, aber die Eröffnung des Cubix am Alex konnte man denn doch nicht ewig verhindern.
Schon im Sommer gab es Reklame für die dortigen angeblich so bequemen Sessel. Nur Probe sitzen lassen wollte man lieber niemanden. Immer wieder verzögerte die Ufa selbst die Eröffnung. Die marode Kinokette, die zwischenzeitlich auf eine Fusion mit Flebbes Cinemaxx zusteuerte, ist wieder selbstständig. Ihr Besitzer aber ist inzwischen die amerikanische Risikokapitalgesellschaft Apax. Die kauft Firmen eigentlich nur, um sie an die Börse zu bringen – oder zu zerschlagen. Ein Konkurs der Ufa würde auf dem Berliner Kinomarkt nur wenige zu Tränen rühren.
Denn viele der Kinogänger halten den unabhängigen Kinos die Treue. Aber auch Kleine, wie EYZ, die Betreiber von Eiszeit, Central und Xenon, müssen um die Kunden buhlen. „Ein zu anspruchsvolles Programm wird von den Leuten leider nicht immer honoriert“, sagt Andreas Döhler. Im Central läuft auch Abwegiges oft gut, im Eiszeit sieht die Lage schlechter aus. Wenn man dort Mainstream zeigt, kommen die Leute nicht, und wenn es zu avantgardistisch zugeht, auch nicht.
Schwer haben es vor allem Kinos in den Bezirken, die zwar die selben Filme zeigen wie die Plexe, nur eben mit weniger technischen Aufwand. Im schönen Blauen Stern Pankow, das in den Neunzigern aufwändig renoviert und neu eröffnet wurde, überlebt man auch durch den Betrieb einer Kneipe in einer sonst öden Gegend. Aber mit Eröffnung von Cinemaxx Collosseum und Kulturbrauerei sind dem Blauen Stern viele Gäste verloren gegangen.
Opfer größenwahnsinniger Börsenspekulanten wurde auch die Kinowelt-Kette (nicht mit UCI zu verwechseln) von Michael Kölmel. Der verspekulierte sich mit seinen diversen Fußball-Engagements und kaufte dann auch noch eine Ladenkette zur Vermarktung von Fanartikeln. Jetzt ist das Kant-Kino, noch mit Millionenaufwand vergrößert, dicht. Aus den Spreehöfen in Schöneweide ist Kinowelt ebenfalls raus. Hier fanden sich unabhängige neue Betreiber.
Gutes hat das langsame Kinowelt-Sterben für Charlottenburger. Das Filmkunst 66 wird nun wieder von dem umtriebigen Franz Stadler gemanagt. Der hatte zwischendurch auf Sylt und in München Kinos geleitet. Ein Jungbrunnen für Stadler, der sprüht nur so vor Ideen.
Der Ku’damm könnte irgendwann zur kinofreien Zone mutieren. Der Vertrag des Astor endet bereits Ende nächsten Jahres. Es gehört, wie der Filmpalast, zu Flebbes Cinemaxx.
Die Yorck-Kinokette mit Häusern wie Passage oder Cinema Paris versucht dem Multiplextrend solides, anspruchsvolles Programm entgegenzusetzen. Yorck-Besitzer Georg Kloster hat viele seiner Spielstätten mit neuer Technik und abgestuften Sitzen aufgerüstet. Für sein Odeon und das Babylon ist der Sony-Originaltonangriff nicht gerade angenehm. Aber wer das Odeon liebt, sei es nur wegen seiner jeden Monat aktualisierten Pinwand mit Schauspielern, die Geburtstag haben, wird sich bei Sony im Keller kaum wohl fühlen.
Eine Konsequenz der Überkapazitäten sind säumige Mietschuldner. Das Karli in Neukölln, aus dem noch vor der Eröffnung UCI wieder ausstieg, soll schon länger keine Miete mehr überweisen. Inzwischen sind wohl sogar die Nebenkosten offen. Die Centerbetreiber aber – unter anderem die Landesbank – haben sowieso schon mit mangelnder Frequentierung zu kämpfen. Wer will sich da schon durch ein leer stehendes Kinocenter noch unattraktiver darstellen?
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