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harke nicht auf unseren gräbern

von WIGLAF DROSTE

„Ach, Jüterbog, Norddeutschland, wie schön“, sagt die freundliche Sätzerin, aber das ist leider überhaupt nicht wahr. Mag der Name Jüterbog auch noch so nach friesischer Insel klingen, mit Ried-gedecktem, sturmfest flachem Haus, nach Punsch im dicken Pulli, so liegt er doch mitten in der Hölle: in Brandenburg. Genauer: Im Fläming, und das klingt schon etwas weniger übel als BRB wie Betrunken Rasende Bestien oder Barbaren Reden Brandenburgisch. Zumal die Brandenburger ja auch reimen können und das Gereimte dann in ihren Lokalen aufhängen: „Als Moses an den Felsen klopfte, geschah es, dass das Wasser tropfte. Ein größeres Wunder erlebst du hier, wenn du hier klopfst, bekommst du Bier.“

Dabei gab es einmal Dichtkunst in Jüterbog. Am Dammtor ist sie dokumentiert: „Wer seinen Kindern giebt das Brodt und leidet nachmals selber Noth, den schlage man mit der Keule todt.“ Dieser nützliche Hinweis für verkitschte Eltern prangt, nebst einer mächtigen Keule, auf rotem Backstein. Der auch die Liebfrauenkirche ganz prima kleidet, in der Gott schon seit dem Jahr 1174 wohnt, was man ein bisschen riecht: Jüterbogs ältester Mieter könnte ruhig mal lüften, denn Gott hat zwar schön viel Wohnfläche, aber auch den muffigen Untermieter Salpeter in den Wänden hängen.

Umso erfreulicher ist Gottes Kirchhof zu Jüterbog; es ist erstaunlich zu sehen, dass es noch Brandenburger gibt, die nicht an Alleebäumen zerklatschend ums Leben kommen, weshalb nahezu jeder Brandenburger Alleebaum ein kleines Holzkreuzgeschwisterchen bekommen hat. Nicht so in Jüterbog, und nicht so auch auf dem Friedhof im vier Kilometer entfernten Kloster Zinna: Hier wird ohne PS beerdigt, ruhig und mit sehr viel Optimismus: „Auf Wiedersehen!“ oder „Wiedersehen“ steht auf vielen Grabsteinen. Ob die Toten das haben verfügen lassen? Wollen sie wirklich wiederkommen? Oder verleihen nicht vielmehr missgünstige Angehörige ihrer Entschlossenheit Ausdruck, den Toten hinterherzusteigen und sie auch weiterhin zu belästigen? Und rührt nicht von diesem gemeinen Wunsch her die Grabpflege sich nennende Unart, um die Gräber herum permanent zu harken? Man stelle sich vor, man liegt in der Erde, schön in Frieden, und oben wird geharkt: Kratz, kratz, mit dem Rechen immer im Uhrzeiger- und Ordnungssinn, der rechte Winkel als Lebensprinzip. Das schöne bunte, wärmende und lärmdämpfende Laub aber, das da zusammengeharkt und -gerakt wird, erfährt keine singuläre Bestattung wie der Mensch; achtlos wird es auf dem Kompost geworfen, ins Massengrab für Blätter.

In Brandenburg verliert der Gedanke an den Tod seinen Schrecken (so dieser tröstliche Gedanke überhaupt Schrecken zu entfachen vermag). Brandenburger Friedhöfe haben etwas Zukunftsweisendes: Hier ist der Mensch, speziell in seiner Erscheinungsform als Brandenburger, seiner ultimativen Bestimmung schon zugeführt. Nur auf das Harken und Kratzen am Grabe sollten die lebenden Brandenburger verzichten. Stattdessen sich richtig schön zuwachsen lassen.

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