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Wie werde ich Juniorprofessor?

von CHRISTIAN FÜLLER

1 Fangen Sie früh an, früher als bisher! Im Kindergarten beginnt die ganze Schose. Nein, noch ist es nicht Usus, schon im Kleinkindalter mit der Büffelei anzufangen. Aber so wird es kommen. Die Politik hat den Kindergarten als frühen Karriereturbo entdeckt. Statt Basteln und Burgenbauen sollen die Erzieher mit den Zwei- bis Sechsjährigen Schreiben und Lesen üben. Hie und da sind „Fächer“ im Kindergarten schon wichtiger als der Buddelkasten. Die das propagiert, ist übrigens die gleiche, die heute den Bundestag um Zustimmung für die Juniorprofessur bittet: Bildungsministerin Bulmahn. Sie will, dass Kindergärten bilden und nicht aufbewahren. Nutzen Sie also die Chance einer geschlossenen Aufstiegskette vom Kindergarten bis zum Lehrstuhl. Früh übt sich!

2 Gehen Sie steile Wege. Überhaupt ändert sich der Karriereweg von Professoren. Verwinkelte Berufsbiografien, die durch Staatsbibliotheken und staubbedeckte Lesesäle führen, gehören ab heute der Vergangenheit an. Ihr Aufstieg misst sich in akademischen Höhenmetern und gesellschaftlichen Steigungsgraden. Reinhold Messner möchte Ihr Vorbild sein. Bedenken Sie, Sie wollen mit 29, spätestens als Thirtysomething den Katheder erklimmen und Vorlesungen halten. Da macht es sich ganz gut, die verschlungenen Wege des Denkers zu meiden. Nehmen Sie sich ein Beispiel am akademischen Schnellaufstieg im Land des jungschen Ministerpräsidenten Siegmar Gabriel (42!). Niedersachsen bietet eiligen Studis ein Blitzstudium mit Intensivkursen und Summer-Schools, setzt Ihnen auf der Überholspur eines zweijährigen Wissenschaftlerprogramms flugs den Doktorhut auf und beamt Sie anschließend auf eine Professur.

3 Haben Sie trotzdem Geduld: bei aller Eile. Gemach, gemach. Es wird alles nicht so schnell gegessen, wie es die Bildungsministerin hochgeköchelt hat. Okay, heute beschließt das Hohe Haus die Juniorprofessur, und die ersten dieser Benjamin-Gelehrten dürfen in Göttingen, Marburg und an der Humboldt-Uni auch schon bei den Berufungskommissionen vorsingen. Ansonsten aber wird über das schnelle Studieren hierzulande immer noch mehr geredet, als dafür getan würde. Sie bleiben leider immer noch in Studiengängen hängen, die zu wenig Laborplätze und Praktika anbieten, um die Regelstudienzeit überhaupt einhalten zu können.

Bachelor und Master, Zwangsberatungen und Geldstrafen zum Trotz: Der gemeine deutsche Student ist immer noch der langsamste seiner Spezies in Europa, ach was, in der Welt. Fast sieben Jahre brauchen Studiosi an deutschen Unis bis zum Abschluss – im Durchschnitt.

4 Überwinden Sie das Nadelöhr Promotion. Sie wollen Ihren Doktor bauen. Hier liegt Ihr Problem. Und zugleich das der ganzen hübschen Konstruktion Juniorprofessor. Was nützen die Jahrhundertreform für das Professariat und die vielen schönen Hochschullehrer-Stellen für knapp 30-Jährige, wenn die meisten Doktoranden sich bis weit in die 30er hinein mit ihrer Dissertation quälen? Der deutsche Doktor dieser Tage ist ein Nachtarbeiter, egal ob er Assistent an der Uni ist oder privat promoviert. Im ersten Fall muss er tagsüber für den Doktorvater malochen – volle Zeit auf halber Stelle, versteht sich. Im zweiten Fall geht der Tag mit Geldverdienen drauf. In beiden Fällen wächst die Promotion, redlich, aber nur seitenweise, zwischen elf und drei in der Nacht. Ein gut strukturiertes Doktorandenprogramm, das für die Juniorprofessuren Nachwuchs herbeischaffte? Fehlanzeige.

5 Überdenken Sie Ihr Image: Der Gelehrte von Rang hatte stets dem Image des Angegrauten, aber Tiefgründigen zu entsprechen. Das galt bisher, jetzt wird das anders. Jung und dynamisch heißen Ihre Sekundärtugenden. Und Sie sind ein Ass in der Schlüsselqualifikation, die im digitalen Kapitalismus en vogue ist: Präsentieren. Vergessen Sie anstrengende Detailvorträge. Inhaltisten sind out, Selbstvermarkter sind in. Auch in der Wissenschaft gilt ab sofort: Sie lächeln und Sie bleiben cool. Sie beginnen Ihre Vorlesungen, Ihre Forschungsvorträge und Talkshows (die für Ihre Bekanntheit wichtig sind!) mit einem Witz. Sie schürfen keinesfalls zu tief, sondern bleiben immer verständlich. Schließlich sind Sie ein Professor neuen Typs.

6 Schreiben Sie keine Habilitation! Das Habilitieren soll nun, glücklicherweise, ein Ende haben. Ihr Job besteht nicht darin, in Einsamkeit und Freiheit ein viele hundert Seiten dickes Werk zu verfassen, das endgültige Wahrheiten verkündet. Das so genannte zweite Buch als Meisterprüfung der Professoren war leider allzu oft nur ein dickes. Von dem überdies kaum jemand Kenntnis nahm, abgesehen von dem freundlichen Herrn Schmidt aus der Uni-Bibliothek und den dort ansässigen Staubmäusen. Man hat Sie zum Juniorprofessor berufen, damit Sie sich in Lehre und Forschung, zusätzlich vielleicht in der Publizistik oder im Wissenschaftsmanagement für eine echte Professur empfehlen. Sechs Jahre haben Sie dazu Zeit. Nutzen Sie sie zum öffentlichen Räsonnement. Aber ziehen Sie sich nicht ins Kämmerlein zum stillen Schreiben zurück.

7 Lassen Sie sich benoten – auch von Studenten: Sie haben gedacht, Sie könnten Zensuren erteilen? Das war ein Irrtum. Als Juniorprofessor sind Sie es, der sich immerfort bewerten, begutachten und evaluieren lassen muss. Das ist der Preis für die abgeschaffte Habilitation. Habilitieren hieß, sich über Jahre zurückziehen – um dann mit 40 Jahren noch einmal vor der allmächtigen Prüfungskommission niederzuknien. Juniorprofessoren hingegen sind so multiple Talente, dass es nicht mehr die eine finale Prüfung, sondern viele kleine Qualitätschecks gibt. Ihre Forschungsanträge werden beurteilt. Nach drei Jahren schreiben Sie einen Verlängerungsantrag, über den eine wichtige Kommission befindet. Und die Studenten dürfen Ihnen Noten geben. Weil Sie auch in der Lehre top sein sollen. So ist das.

8 Werden Sie, trotz allem, Beamter: Dass der Juniorprof ein Allrounder sein soll, wussten Sie schon. Dass Sie aber dennoch Staatsdiener alter Prägung bleiben müssen, setzt Ihrem Job die Krone auf. Aber eine andere als die der kleinen Adligen, die Professoren wegen der Kombination von Forschungsfreiheit und unkündbarem Beamtenstatus immer waren. Bei Ihnen ist das irgendwie widersprüchlicher. Sie sollen einerseits Aufklärung stiften in den Formen der wissensbasierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, das heißt, Sie müssen schnell sein und teamfähig, multimedial und global, stets bereit, eine Theorie mittlerer Reichweite zu verschlagworten. Andererseits stehen Sie mit beiden Beinen auf dem überkommenen Beamtenrecht des 18. Jahrhunderts, mit dem Preußens Könige ihre Bedienten von ihrer Person emanzipierten, um sie zu loyalen und willfährigen Dienern eines effizienten Staates zu machen. Sehen Sie es dialektisch, falls Ihnen der Begriff etwas sagt. Heben Sie den Widerspruch in etwas gänzlich Neuem auf: einem Professor, der noch jung ist und trotzdem seinen Studenten was zu sagen hat.

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