: Betr.: Nacht der Jugend
■ Bei der Nacht der Jugend warnte Sonja Sonnenfeld vor Gleichgültigkeit anderen Menschen gegenüber. Mitgefühl zu bewahren und selbst zu denken, ist für sie das Wesentliche. Im Bremer Donat Verlag veröffentlichte sie jetzt ihre Erinnerungen.
taz: Steppen sie heute noch?
Sonja Sonnenfeld: Ich kann noch steppen. Nach meiner Operation habe ich Freiübungen im Wasser gemacht. Da habe ich festgestellt, ich konnte plötzlich einen Walzer steppen. Im Wasser. Ich weiß nicht, ob ich jetzt hier steppen würde, aber im Wasser geht es gut. Das ist wie beim Rad Fahren, man muss es nur einmal gelernt haben. Und ich war die erste in Berlin, die steppen konnte.
Ihre Rolle in einem Film mit Hans Albers bekamen sie, weil sie tanzen konnten?
Nein, nur weil er mich sah. Da kam dieser blonde Hans, der hatte die blauesten Augen, die man sich vorstellen kann. Fantastisch, strahlend. Der hatte überhaupt –ne Ausstrahlung. Er hatte in einem Filmstudio bei München gerade eine Szene zu Ende gespielt und sagte: Was machen sie denn hier? Er hat dann schon gefragt, ob ich tanzen kann. Doch ich sollte die Rolle ja nicht bekommen, weil ich Berufsverbot hatte. Weil ich es abgelehnt hatte, die Tischdame von Sepp Dietrich zu sein, dem Führer der Leibstandarte von Hitler. Aber Albers hat einfach einen anderen Namen für micht erfunden. Er war „a Mensch“, wie man auf jiddisch sagt. Die Nazis wollten, dass er sich von Hansi Burg trennt, einer Jüdin. Da hat er gesagt: Mich von ihr trennen? Jetzt heirate ich die Dame doch erst recht!
Haben sie es Albers übel genommen, dass er auch in Propaganda-Filmen mitgespielt hat?
Das war unnötig, finde ich. Er war ein bisschen blöd. Aber ich nehme es ihm nicht übel. Ich erinnere mich daran, dass er menschlich war. Er wusste nicht, wo er hinsollte. Ein Hans Albers konnte nur in Deutschland spielen. Er hatte keine Angebote aus Hollywood.
Sie waren als Jüdin der Hetze der Nazis ausgesetzt. Heute werden Muslime pauschal verdächtigt, potentielle Terroristen zu sein. Es ist zwar nur bedingt vergleichbar. Dennoch: Fühlen sie sich durch das aktuelle Klima an die dreißiger Jahre erinnert?
Absolut. Aber obwohl es vor allem die Muslime sind, die verdächtig werden, wird auch heute wieder gesagt, an den Anschlägen in New York sind die Juden schuld. Wenn Israel sich mit den Palästinensern geeinigt hätte, wäre es nicht dazu gekommen, hört man. Die Juden eignen sich ausgezeichnet als Prügelknaben. In Deutschland kam der deutsche Herdentrieb dazu. Hitler und Goebbels wussten, dass die Masse ihnen folgt. Und sie wussten über deutsche Eigenschaften Bescheid: absoluter Gehorsam, Disziplin, Ordnung muss sein. Sehr gute Eigenschaften, die Hitler zu destruktiven Eigenschaften machen konnte.
Goldhagen sieht in dem tief verwurzelten Antisemitismus der Deutschen die Ursache des Holocaust. Halten sie den deutschen Herdentrieb für entscheidender?
Vielleicht ist es beides. Aber es geschah von einem Tag auf den andern, dass Menschen sich dazu verleiten ließen, Heil Hitler statt Guten Morgen zu sagen. Ein tief verwurzelter Antisemitismus, ach Gott, alle Völker sind antisemitisch. Judenhass besteht sehr oft aus Neid. Jüdische Eltern sehen zu, dass ihre Kinder tüchtig werden. Sie müssen nämlich tüchtiger sein als andere, um sich zu behaupten. Daher gab es so viele jüdische Ärzte, Rechtsanwälte oder Solisten. Dass der Antisemitismus auch daher kommt, will nur nie irgend jemand erklären.
Sie waren Geschäftsführerin des Wallenberg-Komitees. Waren auch die recht abenteuerlichen Pläne zur Befreiung von Raoul Wallenbergihre Ideen?
Ich fühlte mich verpflichtet ihm gegenüber, als ich sein Bild sah, da im Büro. Es reichte mir nicht, nur im Komitee zu arbeiten und Übersetzungen zu machen. Er hat so viele Menschen gerettet. Eines Tages hörte ich, dass Wallenberg an der chinesisch-russischen Grenze in einem Krankenhaus war. Da wollte ich mich als Krankenschwester verkleiden. Gut, ich verschaffte mir die Sachen, wir waren beinahe auf dem Weg und dann kam die Nachricht, dass das Hospital aufgelöst worden war. Was vermuten sie: Warum wurde Wallenberg in der UdSSR interniert? Wahrscheinlich zum Austausch. Zusammen mit Wallenberg wurden zwei Schweizer Diplomaten verhaftet. Da wurden sofort zehn Russen aus der Gesandschaft in Bern festgenommen und gesagt, wir wollen unsere Diplomaten zurückhaben. Doch anders als die Schweizer haben die Schweden das nicht gemacht, weil sie sich für moralisch hochstehend halten. Die Schweden waren einfach zu feige. Inzwischen glaube ich, dass er nicht mehr lebt. Aber die Wahrheit über Wallenbergs Schicksal werden wir nie erfahren.
Interview: Peter Ringel Sonja Sonnenberg liest am 13. November um 19 Uhr 30 in der Buchhandlung Leuwer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen