: Wie gut schmeckt öko?
Nicht alles, was vom Biohof kommt, hat Topqualität. Ökobauern sind wie Dichter, Kriminalkommissare oder Zahnärzte – es gibt gute, mittlere und schlechte
Jetzt ist es also passiert, der Bundestag hat gestern das Ökosiegel verabschiedet. Es ist sechseckig mit grünem „i“, das sanft den Hinterkopf des „o“ streichelt, während das „B“ unbeeindruckt daneben steht. Das schöne neue Label soll uns künftig also beim Einkauf die Bioqualität signalisieren. Ist es auch ein Wegweiser für den guten Geschmack? Ist „bio“ auf der Genussseite dem „normalen“ Angebot überlegen? Leider wird diese Frage viel zu selten gestellt.
„Das ist doch Geschmackssache“, ist eine häufig gebrauchte Redeweise. Damit wird der Geschmack zur Privatsache erklärt und aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Dass aber über Geschmack weiter geschwiegen wird, ist eines der Probleme, mit denen sich die langsam abzeichnende „Agrarwende“ noch wird herumplagen müssen. Denn so kann Geschmack keine politische Wirkung entfalten. Und das, obwohl Verbraucherministerin Künast den Slogan „Klasse statt Masse“ geprägt hat. Er ist mittlerweile fast zum geflügelten Wort geworden. Was aber ist Klasse? Die Frage muss erlaubt sein, ob die Ökoprodukte per se immer Klasse sind. Seien wir ehrlich und geben wir zu: Sie sind es nicht. Wie bei Kriminalkomissaren, Zahnärzten oder Dichtern gibt es auch unter Biobauern gute, mittlere und schlechte.
Jetzt ist sie leider fast vorbei, die Zeit der frischen Herbstgemüse. Die Küche konnte kaum bunter, die Aromen konnten nicht vielfältiger sein. Hier erleben wir echte Klasse, denn bei keinen anderen Leckereien wird die geschmackliche Überlegenheit des ökologischen Landbaus so sinnlich nachvollziehbar wie bei Salaten, Mangold, Kürbis, Kohl & Co. Doch nicht jeder Ökolandwirt schöpft das geschmackliche Potenzial dieser Gemüse auch wirklich aus.
Wenn jetzt in den ersten kalten Wochen das Fleisch die Gemüse langsam wieder an den Tellerrand drückt, werden die Geschmacksunterschiede noch deutlicher. Selbstverständlich ist es richtig, beim Fleischkauf auf Ökoqualität zu achten, weil artgerechte Haltung schon allein ein Stück „innerer“ Qualität ist. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu, wenn die Ochsenbrust auf dem Teller schmeckbar besser sein soll: das Handwerk! Qualität braucht nicht nur artgerechte Tierhaltung und gutes Futter. Es kommt auch auf eine behutsame Schlachtung mit längerer Ruhepause in der Wartebucht und die anschließend perfekte Zerlegung und Verarbeitung des Tieres an. Die Bedeutung des Handwerks für den Gaumen wird vollends deutlich, wenn aus dem rohen Fleisch Wurst oder Schinken werden soll. Hier hilft uns auch das tollste Biofleisch nicht weiter, wenn die Kenntnisse über Würzung, Reifung und Warmfleischverarbeitung mit der Agrarpolitik nicht Schritt halten können. Ökobauern und -erzeuger haben in den letzten Jahren viel dazugelernt. Das verdient Anerkennung. Aber die Zahl der Qualitätsfanatiker unter ihnen kann durchaus noch steigen.
Ist am Ende das Ökomenü komplett, stellt sich die Frage nach dem Inhalt des Weinglases, das da vor uns steht. Hier wird die Frage nach Genuss und Geschmack ganz von der Alternative „öko oder konventionell“ abgekoppelt. Die meisten großen Weine Deutschlands kommen nicht aus Ökobetrieben men. Zugegeben, das sagt nicht, dass sie nicht auch im Ökoweinbau entstehen könnten (es gibt sehr gute, sogar großartige Bioweine). Und trotzdem bleibt die Tatsache, dass Ökowein nicht per se besser ist als konventioneller.
Der ökologische Landbau ist eine Alternative zum industriellen geschmacklichen Nirwana. Aber allein die Anbaumethode macht unseren Gaumen noch nicht glücklich. Und es gibt eine ganze Reihe von Produzenten, die keinem Ökoverband angehören und dennoch Spitzenleistungen abliefern. Genau deshalb müssen wir über Geschmack streiten. Klasse entscheidet sich am konkreten Produkt. Die Frage, ob Qualität künftig immer stärker mit öko deckungsgleich ist, sie wird nicht nur von Produzenten und Genusshandwerkern entschieden, sondern auch davon abhängen, dass gerade ambitionierte Esser die Freunde aus der Ökoecke nicht nur fördern, sondern auch fordern. Öko und Qualität als Synonym? So weit sind wir noch lange nicht!
ANDREA ARCAIS
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