: Kosmisches Dröhnen
Pädagogik gelungen: Die Philharmoniker mit Crumb, Cage und Mozart in der Musikhalle ■ Von Andi Schoon
Man kann es nicht oft genug sagen: Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher ist ein begnadeter Pädagoge. Sein Auftrag ist es, dem vermeintlich konservativen Konzertpublikum das Hören von Avantgardemusik beizubringen. Folgende Taktik hat sich dabei als besonders praktikabel erwiesen: Kurz bevor die Zuhörer angesichts neutönender Darbietungen in die Luft gehen wollen, belohnt Metzmacher sie mit liebgewonnenen Klängen alter Meister und versöhnt so gleichsam die antagonistische Konstruktion. Für das 3. Philharmonische Konzert hat er es damit besonders weit getrieben.
George Crumb, Jahrgang 1929, gehört zu der Riege amerikanischer Eigenbrötler, mit denen sich klassische Orchester häufig so schwer tun. Sein Stück A Haunted Land-scape beschreibt das „kosmische Dröhnen“, das Crumb beim Anblick einer „verwunschenen Landschaft“ empfand. Während die Bässe einen tief gestrichenen Ton aushalten, schreien die Bläser wiederholt kurz auf, um gleich danach wieder zu verschwinden. Exotische Rhythmusinstrumente und ein elektronisch verstärktes Klavier sorgen für ein vielschichtiges, perkussives Geflecht. Das Orchester bäumt sich düster auf und verstummt so behutsam, wie es begonnen hatte.
Nach kurzer Umbaupause dann ein ganz anderes Bild: Der Klangkörper ist gewachsen, die unbekannten Klangerzeuger wurden dafür entfernt, und am Bühnenrand sitzt der New Yorker Pianist Richard Goode. Die Interpretation von Mozarts Klavierkonzert B-Dur, einem Werk aus seiner letzten Schaffensperiode, entlockte dem Publikum am Sonntag soviel Applaus, dass sich Goode zu einer Zugabe genötigt sah.
Mit dem nächsten Programmpunkt wird das Publikum jedoch auch heute Abend wieder auf eine harte Probe gestellt werden – freilich nicht, ohne dass Metzmacher zunächst ein paar Worte an die Zuhörer richtet, in der Art: „Sie wissen ja, nur Mozart gibt's bei mir nicht!“ Wo sich George Crumb, bei aller Vorliebe für scharfe Dissonanzen, wenigstens an althergebrachte dramaturgische Kompositionsmuster hält, da nahm John Cage mit ganzer Kraft Abstand von ihnen. Für das Stück Credo in US von 1942 kombinierte er einige seiner originären Techniken, um sie mit einem musikreflexiven Moment zu konfrontieren. Zwei mit Blechbüchsen bewaffnete Schlagzeuger und ein unter Verwendung unüblicher Techniken gespieltes Klavier treffen auf Fremdeinspielungen. Cage hatte notiert, dass ein Radio oder ein „Phonograph“ benutzt werden dürfe.
Metzmacher, der selbst das Klavier bediente, und seine drei Mitstreiter entschieden sich für die Verwendung eines CD-Spielers, auf dem getreu den Vorgaben Cages „Klassik“, also populäre Sinfonik gespielt wird. Unweigerlich fühlt man sich dabei an Erik Saties satirische Bearbeitungen zeitgenössischer Musik aus den 20er Jahren erinnert, obwohl Cage darauf hinwies, dass die Verwendung vorgefundener Musik nicht zum Zwecke ihrer Denunzierung, sondern in kreativer Absicht stattfinde – also ganz im Sinne Metzmachers.
Im Einführungsvortrag vor dem Konzert am Sonntag war Metzmacher eifrig bemüht, die innere Logik des Programms zu erläutern. Seine Argumentation verlief ungefähr so: George Crumbs Musik könnte man sich gut als Soundtrack zu einem Gruselfilm vorstellen; die Zuhörer imaginieren während des Lauschens die Möglichkeit furchtbarer Geschehnisse. Auch Mozarts Klavierkonzert scheint atmosphärisch durchzogen von düsteren Vorahnungen, etwa der seines eigenen Todes; außerdem kreisen beide Stücke tonal um ein bedrohliches B. Mozarts Sinfonie in A-Dur hingegen ist Ausdruck seines humorvollen und unverkrampften Wesens. Auch Cage war so ein strahlender Mensch. – Ehre, wem Ehre gebührt. Vielen Dank, Herr Metzmacher, keine weiteren Fragen!
Wiederholung des Konzerts heute, 20 Uhr, Musikhalle
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