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Stadt Land Rand

Was sich hinter sorgsam gestalteten Lebensentwürfen so alles für Abgründe auftun: Der Schriftsteller und Neuberliner Christoph Peters erzählt in seinen Geschichten bevorzugt vom kleinbürgerlichen Milieu der Stadtränder und der Provinz

von ILKA SCHAARSCHMIDT

Als der junge Berliner Autor neulich in Wannsee aus seinem neuen Buch vorlas, schlugen sich die eleganten und wohlbetuchten Damen lachend auf die Schenkel. Ohne Berührungsängste gegenüber seinem Publikum, ohne Scheu, vielleicht falsch verstanden zu werden, genoss Christoph Peters den Applaus.

Dabei ist die Erzählung „Metzinger“, die von einem vereinsamten Kleinstädter handelt, der sich in einen ausgedachten Verfolgungswahn hineindeliriert, eher tragisch als lustig. „Ich mag es, wenn die Leute lachen. Wenn ich bei einer Lesung merke, wie das Publikum reagiert, lese ich direkt auf die Pointen hin“, sagt Peters bei unserem Gespräch in einem kleinen Café in der Karl-Marx-Allee. „Irgendwann wäre ich gern in der Lage, wie ein Musiker mit den Gefühlen der Zuschauer zu spielen. Ich würde sie zum Lachen hinführen, um dann jäh abzubrechen und sie in eine andere Emotion zu stürzen.“

Als Erzähler von skurrilen und ernsten Geschichten aber interessieren ihn vor allem solche Gefühlsausbrüche, die das alltägliche Leben plötzlich zum Erliegen bringen. Nach seinem viel gelobten Romandebüt „Stadt Land Fluß“ hat er nun seinen ersten Band mit Erzählungen vorgelegt. In diesen spürt er erneut die Abgründe auf, die sich unter sorgsam gestalteten Lebensentwürfen verbergen, und begibt sich an Orte, die meist abseits unserer Am-Nabel-der-Welt-Stadt Berlin liegen: ins kleinbürgerliche Milieu der Stadtränder und in die Provinz, zu den Dörflern und Bauern, zu den weltfremden Gelehrten. Daneben stehen Reisegeschichten, in denen rastlose Mittdreißiger sich auf die Suche nach dem ganz Anderen machen. „Kommen und gehen, manchmal bleiben“ – heißt der Band, ein zusätzlich lakonischer Kommentar.

Christoph Peters selbst ist bislang nur selten dem Ruf der Fremde gefolgt. Er lebte in Karlsruhe und Mainz, bevor er 1998 zum ersten Mal überhaupt Berlin besuchte – für ihn bis dahin immer ein unwirtlicher Ort am anderen Ende der Republik. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er am Niederrhein, wohin es ihn, nach eigenen Angaben, irgendwann wieder zurückziehen könnte. Dabei sind seine Landgeschichten keine romantischen Idyllen. Und die Träume vom fernen Paradies zerschellen nirgendwo so schonungslos wie in seinen Geschichten.

„Sie hat sich dich machen lassen, damals, als Rucksacktouristin, unbedarft, aus einer Laune heraus, weil sie hingerissen war von sich selbst, hier in diesem uralten Land, zwischen Mörsern und Gott, und weil sie etwas Fremdes zum Mitnehmen wollte: Das warst du. Eine Art Souvenir. Bei der Geburt schon Vergangenheit, eine blasse Erinnerung an Wüste, Schaben, seinen Schweißgeruch.“ So beginnt jene Erzählung, in der die Tochter ihren Vater sucht, dort wo ein verlogenes Fernweh ihre Existenz begründete: in der Wüste Negev zwischen israelischer Grenze und palästinensischen Siedlungen. Ein kulturelles und emotionales Babel tut sich bei dieser Reise auf, das ungemein kunstvoll vom Autor gestaltet ist – eine vielstimmige Miniatur, in der die Perspektiven sich überlagern und überbieten. Als „klassisch im Stil“ haben Kritiker Peters’ Schreibweise charakterisiert – was missverständlich ist: denn wiewohl Peters’ Literatur sich selbstbewusst außerhalb der Moden positioniert, lebt sie doch von der komplexen Montage subjektiver Stimmen und Wahrnehmungen, aus der die Psychologie des Geschehens sich wie ein Puzzle zusammensetzt. Die fast fotografisch anmutende Genauigkeit seiner Beobachtungen verrät zudem einen geschulten Blick: Peters hat ursprünglich Malerei studiert und zeichnet noch immer täglich, auf billigem Papier, ganz privat: eine Art Tagebuch der Bilder und Eindrücke.

Seine Berliner Bleibe hat er vor eineinhalb Jahren, durch puren Zufall, am Strausberger Platz gefunden, in den „Stalinbauten“: ein intaktes Soziotop ganz nach seinem Geschmack. Die Zimmer der Wohnungen haben einen fantastischen Ausblick – zwar nicht auf den Rhein, so doch auf den ununterbrochenen Fluss des Verkehrs. Bei unserem Gespräch überlegen wir, welche seiner Erzählungen wohl bei einer Lesung in der nahe gelegenen Karl-Marx-Buchhandlung auf Resonanz stoßen könnte. Begeistert wählt er die irritierende Israelreise, weil er vermutet, dass die Leute in seinem Kiez ernsthaft zuhören wollen. Ein offenes Experiment, bei dem unterschiedlichste Weltbilder und Befindlichkeiten aufeinander treffen können.

Christoph Peters: „Kommen und gehen, manchmal bleiben“, 14 Geschichten. FVA, Frankfurt 2001, 34 DM; Peters liest am 15. 11., 21 Uhr im Buchhändlerkeller, Carmerstr. 1, Charlottenburg

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