: waz-gruppe
Ein Modellversuch
Unter Lizenznummer 192 beginnt 1948 die Geschichte der späteren WAZ-Gruppe: Am 18. Februar erscheint zum ersten Mal die Westdeutsche Allgemeine Zeitung in Essen, Gründungsverleger waren Erich Brost und Jakob Funke. Das Blatt wurde schnell zur führenden Tageszeitung im Ruhrgebiet.
Unter den beiden die Verlagsgründer vertretenden Geschäftsführern Günter Grotkamp (Funke-Clan) und Erich Schumann (Familie Brost) entstand ab Mitte der 1970er-Jahre das WAZ-Modell und 1976 die Zeitungsgruppe WAZ: Der Verlag brachte durch aggressiven Wettbewerb und Kampfpreise viele Konkurrenztitel in Bedrängnis – und übernahm sie sukzessive. Die größten Aufkäufe – Westfalenpost (Hagen), Westfälische Rundschau (Dortmund) und Neue Ruhr/Neue Rheinzeitung (Essen/Duisburg) – blieben als eigenständige Titel bestehen. Bei Vetrieb, Druck, Anzeigengeschäft und Verwaltung wird kooperiert. Da die Anzeigenteile aller WAZ-Zeitungen in einem Verbreitungsgebiet identisch sind und nicht einzeln belegt werden können, ist man in allen Titeln präsent – und das kostet.
Seit 1990 beherrscht die WAZ-Gruppe auch den größten Teil des Zeitungsmarktes in Thüringen. Die Gesamtauflage der WAZ-Titel im Ruhrgebiet beträgt täglich 1,06 Millionen Exemplare, die der drei Thüringer Titel rund 444.000 Exemplare. Der Konzern, der in über 150 Teilgesellschaften fast 12.000 Mitarbeiter beschäftigt, ist nicht börsennotiert, sondern firmiert als GmbH & Co. KG. Deshalb sind die Umsatzzahlen von rund 4 Milliarden Mark für das Jahr 2000 (1999: 3,8 Mrd.) auch nur geschätzt: Mit Zahlen war man bei der WAZ-Gruppe stets knauserig.
Seit 1987 ist die WAZ-Gruppe auch im Ausland aktiv. Sie beherrscht die österreichischen Boulevardblätter Kronenzeitung und Kurier sowie die wichtigsten Zeitungsverlage in Ungarn und Bulgarien. Künftig expandieren will der „Zeitungstrust“ (Wirtschaftswoche) jetzt vor allem in Osteuropa. In Ungarn heißt dabei einer der Hauptkonkurrenten Gruner + Jahr – und ist Tochterunternehmen des Bertelsmann-Konzerns.
Mit diesem ist man dagegen im TV-Bereich eng verbandelt: Die WAZ-Gruppe hält 11 Prozent an der überwiegend zu Bertelsmann gehörenden RTL-Group, dem größten Fernsehunternehmen Europas mit 24 Kanälen in zehn Ländern. Seit längerem wird darüber spekuliert, ob hier nicht ein großes Tauschgeschäft bevorsteht: Die im TV-Bereich ausstiegswillige WAZ-Gruppe tritt ihren RTL-Anteil an Bertelsmann ab – und übernimmt dafür den zu Bertelsmann gehörenden Berliner Verlag (Berliner Zeitung, Kurier).
Hindern könnte sie daran wahrscheinlich keiner: „Jede Lücke im deutschen Wettbewerbsrecht nutzen WAZ-Manager wie kein zweiter Verlag hierzulande“, zitiert ein kritisches Unternehmensporträt eine verzweifelte Stimme aus dem Bundeskartellamt. Der bislang größte Coup: Als das Kartellamt 1990 die Übernahme der in Gera erscheinenden Ostthüringer Nachrichten (OTN) untersagte, um ein Monopol der Gruppe in Thüringen zu verhindern, gründete die WAZ mit der Ostthüringer Zeitung einfach ein eigenes Blatt – und warb die komplette OTN-Belegschaft ab. STG
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