AFGHANISTAN: IM SÜDEN MUSS DIE US-ARMEE SELBER KÄMPFEN: Der zweite Krieg beginnt
Die Hauptstadt Kabul ist von der Nordallianz besetzt, die Taliban-Kämpfer getötet und gefangen, geflohen oder samt Ausrüstung abgezogen. Selbst in ihrer Hochburg Kandahar stehen sie unter Druck. Doch der Krieg ist damit noch nicht vorbei. Der jetzt möglich gewordene Sturz der Taliban war allenfalls ein Schritt.
Die Kriegsführung könnte jetzt sogar noch schwieriger werden. Denn die Bush-Regierung muss in ihrem diffusen „Krieg gegen den Terror“ ihre nächstes Etappenziel jetzt präziser definieren, genauer jedenfalls als noch vor den ersten Luftangriffen am 7. Oktober. Während damals Außenminister Colin Powell gegen die Zerschlagung der Taliban war, setzte sich Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice allmählich mit deren angestrebtem Sturz durch. Nun ist die Frage: Wann ist al-Qaida geschlagen? Legt die Regierung die Messlatte zu hoch, blamiert sie sich möglicherweise, weil sie die eigene Vorgabe nicht erfüllen kann. Liegt die Messlatte hingegen zu niedrig, kann sie auf Dauer den Fortgang des Krieges nicht legitimieren.
Der bisherige Krieg im Norden des Landes war zumindest teilweise ein sichtbarer. Im Süden hingegen wird er bereits seit Wochen sehr viel stärker mit geheimen Spezialkommandos geführt. Die Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit. Das hat propagandistische Vorteile, wenn es tote und verletzte US-Soldaten gibt, aber Nachteile, wenn die Öffentlichkeit nach Erfolgen ruft. Dies kann politisch bedeutsam werden, denn für die USA fängt der Krieg möglicherweise jetzt erst richtig an. Im Norden konnten sich die US-Streitkräfte weitgehend auf die Rolle einer Luftwaffe für ihre neuen afghanischen Alliierten am Boden beschränken. Im Süden des Landes gilt dies kaum. Selbst wenn örtliche Warlords sie unterstützen, kann sich die US-Armee nun nicht afghanischer Stellvertreter bedienen, sondern muss eigene Kräfte einsetzen.
Über diesen Krieg werden wir noch weniger hören als über den im Norden, aber für die US-Regierung wird er viel bedeutender sein. Ein Krieg, der wegen des Einsatzes geheimer Kommandos politisch weniger, militärisch aber größere Risiken mit sich bringt – und dessen nächstes, konkretes Ziel noch unklar ist. ERIC CHAUVISTRÉ
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