: Der Fall Kabuls alarmiert Pakistan
Regierung will Afghanistans Hauptstadt Kabul als entmilitarisierte Zone. Islamisten machen Muscharraf für Taliban-Niederlage verantwortlich
von SVEN HANSEN
Mit der Einnahme Kabuls durch die Nordallianz steht die pakistanische Afghanistanpolitik vor einem Scherbenhaufen. Pakistan, das den Taliban zur Macht verhalf, hatte immer wieder vor einem Einmarsch der Pakistan-feindlichen Nordallianz in Kabul gewarnt. Gestern gab sich die Regierung in Islamabad dann zunächst recht wortkarg.
In einer ersten Reaktion appellierte das Außenministerium, Kabul zur entmilitarisierten Zone unter UN-Hoheit oder unter Kontrolle einer internationalen Friedenstruppe mit UN-Mandat zu machen. „Es wäre besser, wenn Kabul entmilitarisiert wäre und nicht eine einzelne Gruppe die Macht übernimmt“, sagte Außenamtssprecher Aziz Ahmed Khan laut Reuters.
Pakistans einst gute Beziehungen zu den Führern der Nordallianz, die mehrheitlich aus Usbeken, Tadschiken und Hazara besteht, schlugen in Feindschaft um, als Islamabad Mitte der 90er- Jahre den Mudschaheddin die Unterstützung entrzog und stattdessen die Koranschüler zu einer schlagkräftigen Bewegung formierte und mit ihnen ein Pakistan freundlich gesinntes Regime in Kabul installierte. Heute fürchtet Pakistan den Ausschluss der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit aus einer Post-Taliban-Regierung.
Ein Ausschluss der auch in Pakistan gewichtigen Volksgruppe der Paschtunen wäre für Pervez Muscharraf innenpolitisch schwer zu verkraften, erst recht, wenn die Nordallianz die befürchteten Massaker an Paschtunen begehen würden. Außenpolitisch würde Islamabad stark an Einfluss auf Afghanistan verlieren. Islamabad will neben Indien im Osten nicht auch noch im Westen eine feindlich gesinnte Regierung als Nachbarn.
Pakistans Regierung erinnert an die unrühmliche Herrschaft der Führer der späteren Nordallianz über Kabul von 1992 bis 1996. Damals wurde die noch weitgehend unversehrte Hauptstadt in den rücksichtslosen Machtkämpfen der Warlords zerstört. Muscharraf erhielt jetzt von US-Präsident Bush die Zusicherung, dass die USA keine Übernahme Kabuls durch die Nordallianz wünschten, bevor nicht eine politische und multiethnische Nachkriegslösung ausgearbeitet sei.
Pakistan selbst hatte sich in der Vergangenheit allerdings nicht daran gestört, dass die paschtunischen Taliban allein das multiethnische Kabul kontrollierten, solange dies eigenen Interessen diente. Jetzt dürfte Pakistan die internationale Gemeinschaft drängen, schnell mit der multiethnischen Nach-Taliban-Lösung voran zu kommen und auch selbst versuchen, zu den Taliban in Opposition stehende Paschtunen aktiv für eine Nachkriegslösung einzuspannen. Muscharraf hatte bereits vor Wochen schon einen Aufstand von Paschtunen gegen die Taliban angekündigt, von dem bis heute allerdings nichts zu merken ist.
Verärgert regierten gestern die Islamisten in Pakistan. Die Einnahme Kabuls durch die Nordallianz sei ein schlechtes Omen für Pakistan, sagte Maulana Sami ul- Haq, der Vorsitzende des afghanischen Verteidigungsrats, eines Zusammenschlusses talibannaher Gruppen. Munawar Hasaon, der Generalsekretär der islamistischen Partei Jamaat-i Islami, bezeichnete den Rückzug der Taliban als Taktik. „Die Geschichte zeigt, Kabul ist leicht zu erobern, aber sehr schwer zu verteidigen.“ Für den Sturz der dortigen Regierung sei Präsident Perves Muscharraf verantwortlich.
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