: Vergrößerte Erdbeerbacksteine
Bombast überbieten: Yes mit dem Yessymphonic Orchestra im CCH ■ Von Roger Behrens
Vierzig Fuß lange Endlosschleifen mit gesampeltem Vogelgezwitscher am Anfang von Close to the Edge, die rückwärts abgespielten Klavieraufnahmen bei „Roundabout“, das Hardcore-antizipierende Riffing bei „Gates of Delirium“ die übereinander geschichteten Percussions bei „Awaken“ – damit prägten Yes vor einem viertel Jahrhundert Begriff und Maßgabe von progressiver Rockmusik: Rock 'n' Roll als Kunstform. Wobei das technische Können der Einzelmusiker erst im Zusammenspiel, im Sinfonischen seinen vollendeten Ausdruck, sein Recht finden sollte – die zehnminütigen Synthesizereinlagen von Rick Wakeman, die Gitarreneskapaden Steve Howes waren Exkurse, keine Soli. Die gab es, eher nach Jazzverfahren anmutend, höchstens für den Bass Chris Squires, für den Gesang Jon Andersons oder das Schlagzeug, zunächst von Bill Bruford, dann von Alan White gespielt.
Alles begann vor über dreißig Jahren zwar schon mit Streichereinlagen, mit ganz und gar unrockistischen Ornamenten und Versatzstücken aus der Kunstmusik (Gustav Holst, Leonard Bernstein). Aber schon hier zeigte sich das Vorgreifende, eine frühe Version von Brit-Pop. Dann gab es fliegende Synthesizerlinien, wie sie jetzt bei Air wieder auftauchen; Mellotronflöten, mit denen heutzutage Motorpsycho hausieren gehen; die exzessiven Geräuschcollagen, die es nun wieder bei Radiohead gibt; schließlich die gerade im Bassbereich ausladende Klangkraft, die sich auch bei den Chemical Brothers hören lässt. Bill Bruford hat das elektronische Schlagzeug im Rock etabliert. Und die heute (wieder) so modischen Vocoderstimmen finden sich bei Yes bereits 1981, in der Phase kurz vor „Owner of a lonely Heart“, als Trevor Horn sang und produzierte.
Das ist die Signatur des Progressiven, die sich bei Yes ablesen lässt. Das Material selbst blieb weitgehend bei der spätromantischen Phrase, überladen und einfach – sinfonische Dichtungen, wenn man so will. Auch wenn Yes durch ihre ganze Plattenseiten ausfüllenden Stücke bekannt wurden – was im Übrigen auch nicht mehr als 25 Minuten meint: Nicht die Anzahl von Breaks oder die Länge an sich besticht, wie manche Fans Glauben machen wollen, sondern der Song, das sinfonisch umspielte Schema von Strophe-Refrain. Das unterscheidet Yes von Bands wie Pink Floyd, Genesis und selbst noch Soft Machine oder King Crimson. Dass Jon Anderson sich dann 1975 ausgerechnet gegen das Etikett des Sinfonischen aussprach, scheint eher schon Koketterie eben damit zu sein: „Ich möchte unsere Musik nicht irgendeiner Kategorie zuordnen, schon gar nicht Symphonic Rock – das ist ein Unwort und klingt wie Erdbeerbacksteine.“ Dieses Unwort charakterisierte allerdings den Stil, wenigstens bis zum Relayer-Album.
Dann stellte Punk auch das Konzept von Yes in Frage. Deren Versuche mit New-Wave-Anleihen blieben Experimente, genau so die allzu konsequente Übersetzung von Yes-Stücken in Orchesterversionen. Die unzähligen Um- und Neubesetzungen der Band markieren schließlich die Verzweiflung, aus dem eigenen Schatten der frühen Siebziger nicht heraus treten zu können und vom neuen Sound noch nichts hören zu wollen – das haben dann einzelne Bandmitglieder in anderen Projekten verwirklicht, etwa Bruford mit seiner Drum'n'Bass-Free Jazz-Rockbandnamens B.L.U.E..
So historisch wichtig die Band Yes ist, so sehr rutschte sie zunehmend in die Bedeutungslosigkeit; der letzte Versuch mit The Ladder und jungem Keyboarder schien dann die Farce der Tragödie zu sein: Kitschrock. „Kitsch ist das Werk, das zum Zwecke der Reizstimulierung sich mit dem Gehalt fremder Erfahrungen brüstet und sich gleichwohl vorbehaltlos für Kunst ausgibt,“ so Umberto Eco. Doch bei Yes war diese fremde Erfahrung auch noch die eigene alte. Worin bestünde dabei das Recht des Kitsches, wenn er nicht doch zuließe, dass diese Erfahrung etwas Unabgegoltenes, Aktualisierbares behielte?
Die Idee scheint zu sein, selbst den alten Größenwahn, der dem Bombastrock einmal anhaftete, ironisch zu überbieten: Das neue Album heißt Magnification, was Vergrößerung ebenso meint wie Verherrlichung, das Artwork zeigt ein in sakrales Violett gehülltes Universum. Die ältere, fast ursprüngliche Besetzung mit Anderson, Howe, Squire und White wird unterstützt von Meat Loaf-Tournee-Keyboarder Tom Brislin. Und vom eigens zusammengestellten Yessymphonic Orchestra, dirigiert von Larry Groupé, mit dem Yes auch ihre neue Platte aufgenommen haben. Vom Gestus, mit dem diese Musik sich anbahnt, einmal abgesehen: Tatsächlich gelingt es der Band hier erstmals seit 15 Jahren eine Bilderwelt zu erzeugen, die bisweilen an Anton Bruckner erinnert oder an Science-Fiction-Filme. Manchmal gelingt es, die Musik aus den mythischen Inselwelten des langjährigen Covergrafikers Roger Dean zu übersetzen: in ein utopisches Morgen.
Montag, 20 Uhr, CCH 1
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