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Träume, mein Tod

Wiedervereintes Herzensduo des Eighties-Pop: Soft Cell spielten für haufenweise mitsingende Fans in Berlin

Komisch, zu Marc Almond zu gehen, wenn man in seinem Leben genau zwei Popstars wirklich verehrt hat: David Bowie und eben Marc Almond. Was für die einen der junge Marx, war für die anderen der junge David Bowie; was für die einen Deleuze und Bataille, war für die anderen Marc Almond. Zuweilen ging das ja auch zusammen. Marc Almond war der Wichtigere, vielleicht weil man in seinen Zwanzigern mehr erlebt als im Teenageralter; wahrscheinlich weil seine Lieder persönlicher und pathetischer waren, zum Sichhineinsteigern einluden, so eindeutig romantisch-sexuell, so existenzialistisch, in all ihrer Künstlichkeit wahrhaftig und authentisch. Schlimme Liebes- und Existenzkrisen, Selbstmordgefühle, pathetische Sexualität, die Schlaflosigkeit des Verlassenseins, die großen Lebendigkeitsgefühle also verknüpften sich mit seinen Liedern.

Wenn man andere kennen lernte, die den kleinen Popstar auch toll fanden, erzählten sie ähnliche Geschichten. Und gestern, beim wunderschönen Soft-Cell-Reunion-Konzert in der Columbiahalle, als ungefähr alle den Text von „Where did our love go“ mitsangen, als alle ihr ganz persönliches „Hold me, hold me, hold me“ bei „Torch“ herausriefen, war man sich sicher, dass es ihnen ähnlich geht wie einem selbst und hatte plötzlich so ein solidarisches Gefühl.

Es war nicht irgendein Konzert, es war auch nicht nur – was ja auch schon viel sein könnte – die Reunion-Tour von Soft Cell nach 17 Jahren und fünf Alben Anfang der 80er, es lag keine wohlig-selbstzufrieden-sentimentale Stimmung in der Luft wie bei anderen Altstar-Auftritten. Es war jetzt, auch wenn das größte Glück letztlich bei den Klassikern kam: „Torch“, „Bedsitter“, „Say hello, wave goodbye“, das großartige „Tainted Love/ Where did our love go“ natürlich, vor dem man sich ein bisschen auch gefürchtet hatte – kann er das noch spielen, ich meine authentisch irgendwie, ohne dass es auf Lüge und einen augenzwinkernden Selbstbetrug zwischen Publikum und Sänger hinausliefe?

Sie konnten es. Sie spielten in der zweiten Zugabe sogar das unbekanntere „Martin“, diese verstörende Geschichte des jungen Mannes, der in seiner Fantasie lebt, zu viele Bücher liest, halluziniert und von seinem Tod träumt.

Das Licht war großartig, so diskomäßig. Die Bühne sah aus wie ein Reversi-Spielfeld, Dave Ball hielt sich still die ganze Zeit im Hintergrund, während Marc Almond da vorne sang und ein schwarzes T-Shirt trug, auf dem „too fast to live / too young to die“ stand. Erwartungsgemäß hatte er mit „Memorabilia“ von dem zweiten Soft-Cell-Album „Non-Stop Ecstatic Dancing“ begonnen. „The first three Soft-Cell-Albums were all really albums that were just done around Ecstasy and the whole E-feeling“, hatte Marc Almond mal gesagt. Die Musiker hatten die Droge 81 in New York kennen gelernt. Auf „Memorabilia“ singt die Dealerin aus Brooklyn, die ihnen die Pillen besorgt hatte, einen Rap, den Marc Almond leider vergeigte und in der Mitte schon, nach „We can take a pill and shut our eyes and let our love materialise; I don't mean love on a chocolate box, I mean love that really rocks“ plötzlich abbrach.

Der Sänger schien anfangs nervös, war sich seiner Wirkung noch nicht sicher, hatte nicht mehr die Weichheit der Bewegungen seiner Jugend natürlich, wenn er auch noch super aussieht, und legte seine Anspannung eigentlich erst nach den neuen Stücken zum Drittel des Konzerts ab, als die Lieder kamen, die alle kannten. Ab „Torch“ konnte Almond dann machen, was er wollte. Es war groß und auch prima, dass er nicht mit Winke, winke, Feuerzeugen, glitzernden Tränchen in den glücklichen Augen, also bei „Say hello, wave goodbye“, Schluss machte, sondern mit „Sex dwarf“ endete: „Thank you, you sex dwarfs!“

DETLEF KUHLBRODT

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