: Migrationspsychiatrie: Therapieren ohne Worte
Bei psychischen Erkrankungen von MigrantInnen, haben Untersuchungen ergeben, ist die Gefahr einer Fehldiagnose erhöht. Mangelnde Sprachkenntnisse sind dafür aber nicht der Grund. Dieses überraschende Ergebnis präsentierte gestern Christian Haasen, Psychiater am UKE, auf dem zweiten Hamburger Symposium zur „Migrationspsychiatrie“ im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll (AKO). Manche Erkrankungen seien nur vor dem kulturellen Hintergrund der PatientInnen zu verstehen, sagte er und plädierte dafür, bei Fachleuten, die mit psychisch Kranken zusammenarbeiten, die „Kultursensivität“ zu erhöhen.
Hwa Chun-Juelich ist es sogar gelungen, einen Patienten zu therapieren, mit dem sie gar keine gemeinsame Sprache verband. Die Oberärztin am Krankenhaus Bergedorf betont, dass Menschen sich ohnehin nur zu zehn bis 20 Prozent über die Sprache mitteilen. Das meiste verlaufe nonverbal. Was TherapeutInnen und PatientInnen oft zunächst trenne, sei nicht die Sprache, sondern das Gefühl, einen Fremden vor sich zu haben. „Auch unter Deutschen haben wir immer mit Fremden zu tun, bei denen wir vieles nicht nachvollziehen können“, sagte sie. Der Rückgriff auf die Muttersprache sei bei manchen PatientInnen unerlässlich, räumte sie ein. Bei anderen aber könne er sogar die Therapie gefährden. Vor allem bei Flüchtlingen. Denn die Muttersprache, so Chun-Juelich, „ist bei den Verfolgten die Foltersprache“.
Die Psychologin Sabine von der Lühe hingegen sieht gerade bei Flüchtlingen Vorteile darin, bei mangelnden Deutschkenntnissen DolmetscherInnen in der Herkunfts-sprache hinzuzuziehen. Denn sie würden durch die deutschen Ämter so auf ihre Identität als Flüchtling reduziert, dass sie auch in der Therapie nur dieses Schicksal betreffende Themen ansprechen würden. Nur über wirkliches sprachliches Verstehen könnten die PatientInnen ermuntert werden, auch über andere Abschnitte ihres Lebens zu sprechen. Elke Spanner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen