: Herr Schily kneift vor Herrn Wrede
Beim Berliner Politiker-Schachturnier macht sich der Innenminister vor dem großen Showdown aus dem Staub
.Hans-Heinrich Wrede ist Legationsrat 1. Klasse und kann die tollsten Anekdoten erzählen. Wie er zum Beispiel 1990 in der Lobby eines Moskauer Flughafens gegen einen Generalmajor der Roten Armee im Schach antrat und sich ihm die ganze militärische Strategie der Großmacht auftat: defensiv, jede wichtige Figur doppelt absichernd, so spielte der Russe und gewann.
Oder wie er elf Jahre später alsLeiter des Arbeitsstabes für globale Fragen im Auswärtigen Amt Garri Kasparow gegenübersaß, seinerseits Leiter der Schachabteilung für weltweite Dominanz. Ein Traum wurde an diesem Tag für Herrn Wrede wahr, weil er am Hegemon des Schachs „die Kombination aus Kampfkraft, Geist, Genie und Kreativität“ schätzt und es das Größte war, gegen ihn zu spielen – auch wenn er natürlich verlor. Eigentlich hätte Otto Schily damals gegen Kasparow spielen sollen. Aber weil der Herr Schily, Leiter der Abteilung für innere Sicherheit, „so privat ein ganz Netter“ ist, ließ er Herrn Wrede den Vortritt.
Anlässlich des 11. Politiker-Schachturniers, am Samstag ausgetragen im Hotel Berlin unter Beisein von 50 mehr oder minder mächtigen Volksvertretern, sollte es zum Showdown in Runde sechs kommen. Herr Wrede war gegen Herrn Schily angesetzt. Letzterer hatte schon mit einem gewieften Endspiel und abgefeimten Turmschiebereien Wolfgang Betcke, den hauptstädtischer Bezirksvorsteher, entnervt zur Aufgabe gezwungen.
Allerdings: Herrn Schily wurde es auch allzu leicht gemacht. Weil Bezirksvorsteher Betcke einmal im Verein „König Tegel“ in der sechsten Mannschaft am Brett saß, kriegte Schily vier Minuten Bedenkzeit mehr. Das nennt sich Schweizer System und sorgt angeblich für Chancengleichheit.
Nun hätte Herr Wrede mit der talibanesischen respektive Hindukusch-Eröffnung für Verblüffung sorgen wollen – und kam nicht dazu. Denn das Duell Wrede-Schily fiel aus.
Gemeinsam machte sich der Innenminister mit Wolfgang Thierse eine Stunde vor Schluss des Turniers davon. Immerhin, Bundestagspräse Thierse verabschiedete sich vorschriftsmäßig von Protokollführer Fechner (Berliner Schachverband). Und Herr Schily? „Der ist einfach so abgehauen“, bemerkte Fechner verblüfft. Hatte er nicht zugesagt, bis zum Ende dazubleiben? „Eigentlich schon.“
Herr Wrede war „sehr enttäuscht, wann hat man schon mal so eine Gelegenheit?“ Wahrscheinlich selten. Also musste die politische Partikularprominenz das Turnier beenden. Nach neun Runden siegte Titelverteidiger Volker Wildt. Er ist Fraktionssprecher der unabhängigen Bürgerbewegung Gauting und kam auf acht Punkte. Herr Wrede wurde Siebter (6), weit vor dem Herrn Schily (3,5 aus 5). MARKUS VÖLKER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen