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Wir pfeifen auf den Soubrettenkönig

Das italienische Fernsehen macht einen Fallrückzieher in die Fünfziger: lächelnde, kussmundige, tiefdekolletierte und schweigsame Blondinen werden den Moderatoren als so genannte „Soubretten“ in den beliebten Quizshows zur Seite gestellt. Alles wegen der Quote, versteht sich

von NINA ROTHENBERG

Mechanisch lächelnde Go-Go-Girls tänzeln um kahlköpfige Showmaster, eine sich schmollmündig räkelnde Blondine im Plexiglaskasten ist der erste Preis. Im italienischen Fernsehen hat die Vermarktung der Frau groteske Züge angenommen.

An das absinkende Niveau von Silvio Berlusconis drei Privatsendern hat sich die staatliche RAI unter Quotendruck schnell angenähert. Alle Fernsehsender sind voll von bunten Quizshows, in denen sich übergewichtige Showmaster von einer Vielzahl leichtbekleideter und ewig lächelnder Showgirls, auch Soubretten genannt, umcircen lassen. Soubrette zu werden ist gestern wie heute für Frauen der sicherste, wenn nicht einzige Weg, ins italienische Showbusiness einzubrechen.

Besonders erfolreich ist die Show „Passaparola“, deren Soubretten „Letterine“, übersetzt kleine Buchstaben, genannt werden. Die sechs jungen Frauen, alle zwischen 21 und 26 Jahre alt, einssiebzig und einsachtundsiebzig groß und mit einem Minimalbrustumfang von 88 Zentimetern, sind nationale Berühmtheiten geworden. Ihre üppigen Attribute werden in der Presse und im Internet verglichen und leidenschaftlich diskutiert. „Wer ist die schönste Letterine?“, fragte auch die seriöse Tageszeitung Corriere della Sera und hat dieser Frage sogar eine Internetseite gewidmet, auf der jeder seine Favoritin wählen kann.

„Man sieht hier vor allem die Entpersonalisierung der Frau in den Medien, die Darstellung von neutralen Typen, die beliebig mit Erwartungen und Stereotypen besetzt werden können“, schreibt der Journalist Georgio Simonelli. Der verantwortliche Programmdirektor des staatlichen Senders RAI 3, Pasquale d‘Alessandro ist selbst unglücklich über die Entwicklung. „Der Quotendruck ist ungeheuer, die Sender haben keine Zeit mehr, neue Ideen auszuprobieren, es wird kaum noch riskiert. Mit dem erprobten Konzept von Quizshow plus nackter Haut ist immer noch viel Geld zu machen“, sagt der 45-Jährige.

Viele der Schönheiten sind aus dem Ausland, vor allem aus den Vereinigten Staaten, importiert. Besonders großbusige Blondinen, die in ihren Heimatländern wenig Chancen zum Duchbruch haben, sind beliebt. Ihr Sprachproblem erhöht außerdem den paternalen Effekt der Inszenierung. „Fehlende Sprachkenntnisse suggerieren – das Mädchen braucht unsere Hilfe“, wie der bekannte Soziologe Franco Ferrarotti, selbst Gatte einer blonden Amerikanerin, erfreut ausruft. Das amerikanische Showgirl Eva Windham lebt seit neun Jahren in Italien und spricht fast perfekt italienisch. „Sie lassen mich trotzdem nicht reden“, beklagt sich die 32-Jährige.

Die belgische Journalistin Virginie Vassart, auch sie blond, groß und schön, hatte da mehr Glück. An der Seite des kurzgewachsenen Giancarlo Magalli moderiert sie die Quizshow „La grande opportunità“ und hat dabei eine recht aktive Rolle. Doch auch sie hat sich jüngst kritisch geäußert und geklagt: „Italien ist ein außergewöhnliches Land, aber der Machismus ist eine steinharte Sache hier. Warum muss eine Ausländerin im Fernsehen zwangsläufig als blöd dargestellt werden?“, fragte die 30-Jährige in einem Interview mit der Zeitschrift Sette und wurde daraufhin gönnerhaft als „eigenwilliges Köpfchen“ tituliert.

Pippo Baudo, der Dieter Thomas Heck des italienischen Fernsehens, findet diese Entwicklung gefährlich: „Der Antifeminismus bekommt Überhand“ warnte Baudi in einem Interview mit dem Corriere della Sera. „Da hat man jahrelang die Emanzipation der Frau beschworen und jetzt gibt es kaum ein Programm mehr, in dem die Frau nicht als Objekt abstempelt wird“, kritisierte der sonst nicht gerade für seinen Progressivität bekannte Baudo.

Alessia Mancini, Showgirl der Satiresendung „Striscia la Notizia“, will davon nichts wissen: „Die Frauen nutzen ihre Waffen“, erläutert die 23-Jährige stolz, ich zeige meinen Körper, ohne deswegen gleich ein Sexobjekt zu sein“. Auf den Feminismus angesprochen, zuckt sie die Schultern, „Ich bin keine Feministin, ich bin für Gleichheit, aber das ist was anderes. Den Feminismus“, sagt sie brav, „halte ich für eine Übertreibung“.

Doch für die meisten Soubretten ist die Karriere kurz und oftmals demütigend. Sexueller Missbrauch grassiert im italienischen Showbusiness, und obwohl sich einige Exponenten der Industrie vor Gericht wegen Übergriffen an oftmals minderjährigen, aspirierenden Show-Girls verantworten mussten, sind rechtliche Konsequenzen äußerst selten.

Kein Wunder, dass die „Glasdecke“, das unsichtbare Hindernis für den Aufstieg von Frauen in der Gesellschaft, in Italien tief hängt. Nur vier Prozent der Spitzenpositionen sind in Italien mit Frauen besetzt. Italien hat neben Spanien die niedrigste Erwerbstätigenrate von Frauen in Europa, und keine europäische Exekutive hat so wenige Ministerinnen wie die neue Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Im Fernsehen sind nach Berechnungen der Kommission für die Gleichstellung von Mann und Frau nur fünf Prozent der sich zu politischen und sozialen Fragen äußernden Personen Frauen. „Mehr Macht und Einfluss in der Gesellschaft können die Frauen nur über zwei Dinge erlangen“, erklärt die ehemalige Ministerin für Gleichstellung Katia Bellillo: „Geld und öffentliche Präsenz“. An beidem mangelt es. Die Frage, warum die meisten Programme so eindeutig auf einen fragwürdigen, männlichen Geschmack zielen, obwohl die Mehrheit des Publikums Frauen sind, lässt sich für Rita Cannizzaro, Feuilletonistin der inzwischen eingestellten, feministischen Zeitschrift Noi Donne, leicht beantworten: „Auch wenn die Mehrheit der Zuschauer Frauen sind, es sind doch Männer, die die TV-Shows machen“.

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