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Erster Kratzer im Plastik

Mariah Carey, die erfolgreichste Sängerin der 90er, probt den Schritt ins Kino. „Glitter“ erinnert an die Disco-Synthese der frühen 80er. Über den bemühten Versuch der Menschwerdung der Mariah C.

von DANIEL BAX

Mariah Carey und Rudolf Scharping haben einiges gemeinsam. Beide haben sich nach ihrer Scheidung von langjährigen Ehepartnern um ein radikal neues Image bemüht. Der Pfälzer probte den Schritt vom Bieder- zum Lebemann und geriet dabei ins Straucheln. Und die US-Sängerin wandelte sich nach der Trennung von ihrem Mann und Mentor, dem Sony-Chef Tony Mottolla, der ihre Karriere maßgeblich befördert hat, vom braven Nesthäkchen zur Venus in Hotpants, von der Plastik- zur Sexbombe. Doch auch diese Metamorphose forderte offenbar ihren Tribut, jedenfalls machten kürzlich Nachrichten von einem „Nervenzusammenbruch“ die Runde, und Paparazzi-Fotos zeigten Mariah Carey mit dunkler Sonnenbrille hinter Klinikmauern. Ein erster Kratzer, der auf tatsächliches Leben hinter der Oberfläche deuten ließ. Wer hätte das gedacht?

Durch den 11. September ist Mariah Carey, wie Scharping, etwas aus den Schlagzeilen geraten. Das hat leider auch ihrem neuen Album „Glitter“ geschadet, das ihr bislang vielleicht bemerkenswertestes ist: Ein Konzeptalbum, das ganz den Discokugelglanz der frühen 80er reflektiert. Nun startet der gleichnamige Film in den Kinos, in dem sich Mariah Carey erstmals als Schauspielerin versucht, wie vor ihr schon die Kolleginnen Whitney Houston und Jennifer Lopez und demnächst wohl auch Britney Spears. Wahrscheinlich ein weiterer Schritt zur Menschwerdung der Mariah C., deren Leinwandpräsenz wohl die Leibhaftigkeit einer Künstlerin unterstreichen soll, die man in ihrer geheimnisfreien Makellosigkeit sonst auch für ein Kunstprodukt halten könnte. Nötig hätte Mariah Carey ein neues Aktionsfeld eigentlich nicht: als erfolgreichste Sängerin der 90er-Jahre kann sie auf mehr als 120 Millionen verkaufte Tonträger zurückblicken, und ihr Vertrag mit der Plattenfirma Virgin, wohin sie kürzlich von Sony wechselte, gilt als einer der höchstdotierten der Branchengeschichte. Auch hält Mariah Carey ungebrochen den Rekord von 15 Nummer-1-Hits in den USA – das sind mehr, als vor ihr die Beatles oder Elvis Presley jemals verbuchen konnten.

Die Welt in Pastell

Eine mit diesen Ikonen vergleichbare Aura war Mariah Carey trotzdem nie vergönnt: Ihr Glamour wirkt, als hätte sie ihn sich nach einem genauen Fitnessplan antrainiert. Zwar schreibt sie die meisten ihrer Stücke selbst und tritt sogar als Koproduzentin in Erscheinung. Trotzdem fehlt ihren Songs das gewisse Quäntchen Persönlichkeit: Während in den Liedern ihrer artverwandten Kolleginnen immer auch Privates durchzusickern scheint, blieb bei Mariah Carey die Fassade immer frei von Brüchen, die zum voyeuristischen Blick einladen. Ihre Rivalin Whitney Houston machte eine Entwicklung vom unbedarften Discohüpfer, der nur mal eben mit jemandem tanzen wollte (der sie liebt), zur gebeutelten Soul-Diva, die weiß, was es heißt, betrogen zu werden, und die trotzdem den Kopf oben behält. Dazu passten die Skandale, die sich um Houstons Ehe mit dem abgehalfterten R-’n’-B-Gecken Bobby Brown rankten, und die Spekulationen über ein ernsthaftes Drogenproblem. Mitte September kursierte gar das Gerücht, sie sei daran gestorben.

Und auch bei Janet Jackson, die etwa der gleichen Generation und Liga angehört, lesen sich die Platten wie die Chronik einer Emanzipation. Das beginnt mit Sex-erst-nach-der Ehe-Flüsterballaden wie „Let’s wait a while“, und bewegt sich hin zu späten Alben wie „Velvet Rope“, die mehr von der düsteren Seite des Begehrens handeln. Doch Mariah Carey blieb immer Mariah: Ihre Welt scheint bis zum heutigen Tag in lichte Pastelltöne getaucht, wie ein behütetes Kinderzimmer. Ihre Alben tragen Titel wie „Daydream“, „Butterfly“ oder „Rainbow“, und ihre süßlichen Balladen sind stets voll euphorischer „Huuuhs“ und „Wows“: Ein Barbie-Girl in einer Barbie-Welt also. Sogar in ihrem modischen Geschmack ähnelt Mariah Carey, trotz bemühter Pin-up-Posen, letztlich eher einer Zwölfjährigen, die in der Garderobe ihrer Mutter Verkleiden spielt, wie der US-Rolling Stone unlängst vermerkte.

Tanzflur der Integration

Trotzdem würdigte das Musikmagazin ihr neues Album „Glitter“ als wichtigen Schritt nach vorn. Denn Mariah Careys Musik zum Film ist perfekter Zitatpop, der dem Discosound der frühen 80er-Jahre huldigt: Eine Hommage an die Zeit, als Rap noch nicht HipHop hieß, sondern noch eine hybride Kreuzung von Funk und Electro-Beats war und als solche noch nicht von Pop-Intellektuellen entdeckt, sondern noch ganz im Alleinbesitz von Menschen ohne Abitur war. Was sich auf den Plattentellern im Club-Underground von New York mischte, ging von dort aus in alle Welt, und fand sein Publikum in Deutschland etwa über US-Radios wie den RIAS und GI-Discotheken, die in Berlin so klingende Namen wie „Riverboat“, „Silver Shadow“ oder „Sugar Shag“ trugen. Auch das „La Belle“, das durch das Bombenattentat weltpolitische Berühmtheit erlangte, muss so ein Ort gewesen sein, wo sich GI’s, deutsche Sekretärinnen und türkische Breakdancer der ersten Stunde begegneten, um dem Hedonismus der arbeitenden Klasse zu frönen: get down, Saturday night. Für Houellebecq mag die Tanzfläche nur eine weitere Kampfzone sein, sie ist aber auch eine zutiefst demokratische Plattform der Integration: Common Ground sozusagen. Das gilt insbesondere für die Club-Kultur im New York der frühen 80er, wo sich die verschiedenen Szenen mehr mischten, als das heute der Fall zu sein scheint – jedenfalls hört man aus den frühen Rap-Stücken mit ihrer Conga-Percussion noch deutlich einen Latin-Einfluss heraus, der später verschwand. Mariah Carey ist gewissermaßen ein Fleisch gewordener Ausdruck dieser Synthese: Als Tochter einer irischen Mutter und eines Vaters aus Venezuela begegnete sie als Mädchen noch jenen Vorurteilen, die Kindern aus gemischten Verbindungen in der von Fragen der ethnischen Zugehörigkeit besessenen USA durchaus entgegengebracht wurden, von beiden Seiten. Als Crossover-Künstlerin, die sich erfolgreich jenseits der üblichen Farbbarriere positioniert hat, bietet sie aber gerade aufgrund ihres multiethnischen Hintergrunds vielfältige Identifikationsmöglichkeiten. Sie verkörpert auf ihre Art das moderne All American Girl, das HipHop mag und gerne mit den coolen schwarzen Jungs im Häuserblock abhängt, aber trotzdem artig um zehn wieder zu Hause ist.

„Glitter“ erinnert an die Tage von Kool & the Gang, Kurtis Blow und dem Timex Social Club und atmet diesen speziellen Geruch von Ghettoblaster, Haarspray und Kunstnebel: So waren sie wirklich, die frühen 80er-Jahre. Zuweilen hört man Anklänge an den staubtrockenen Disco-Funk à la Cameo heraus, und tatsächlich hat Mariah Carey diese Heroen der 80er als Duettpartner reaktiviert. Außerdem konnte sie mit Jimmy Jam & Terry Lewis ein legendäres Produzententeam jener Ära verpflichten, ihr im Studio zur Seite zu stehen. Das bürgt für Authentizität. Für Originaltreue sorgen auch stilsicher ausgesuchte Coverversionen von zeitlos gewordenen Club-Klassikern wie „Last night a DJ saved my life“ oder „I didn’t mean to turn you on“ – wobei Mariah Carey es schafft, Robert Palmers ranzige Ranschmeißnummer zu adaptieren, ohne auch nur einen Hauch von Anzüglichkeit übrig zu lassen. Ganz Reminiszenz ist „Glitter“ allerdings nicht, es finden sich durchaus aktuelle Anknüpfungspunkte. Denn natürlich kann Mariah Carey es sich leisten, nur die besten der aktuellen Rapper-Garde wie Busta Rhymes und Mystikal, Da Brat und Ludacris zu sich ins Studio zu laden. So verbindet sie das Beste aus beiden Dekaden und beweist: Respekt kann man sich eben doch kaufen.

Das Glück in der Clique

Und um Respekt geht es auch Mariah Carey, schließlich hat sie, als typische Aufsteigerin aus einfachen Verhältnissen, das Leistungsprinzip verinnerlicht. In jedem ihrer Songs muss sie unter Beweis stellen, dass sie mit ihrer Stimme alle Oktaven zu treffen vermag, was auf Dauer etwas anstrengend ist – auch für den Hörer. Und deutlicher als bei anderen Selfmade-Stars ist bei ihr soziales Fortkommen eng mit der Sehnsucht nach einer heilen Welt gepaart. Der paradigmatische Ort dieser Fantasie ist die Mädchenclique, in der das Ideal des konkurrenzfreien Diskurses herrscht – jedenfalls so lange, wie Mariah Carey selbst im Mittelpunk steht. Und auch wenn ihre Songs und Videos stets die aufgekratzte Atmosphäre einer wilden Spritztour auf dem Rücksitz eines Cabrios reflektieren oder das Kreischen und Kichern vor dem Spiegel in der Damentoilette der Großraumdiscothek. Letztendlich wartet sie, bei allen Eskapaden, doch nur auf ihren Traumprinzen. So konventionell und klischeehaft wie dieses Mädchenbild ist letztlich auch „Glitter“ geraten, ihr Filmdebüt. Es ist die klassische Aschenputtelgeschichte von der schwierigen Kindheit und dem Aufstieg zum Ruhm, eine Soap-Story wie aus einem Fotoroman. Die Sängerin Billie schlägt sich mit McJobs durch, bis eines Tages der angesagte DJ Dice – der in einer zum Club umgebauten Kathedrale auflegt – auf sie aufmerksam wird. Aus der professionellen Verbindung wird natürlich rasch auch eine private, doch mit ihrem Plattenvertrag und wachsendem Erfolg wächst die Entfremdung des Paars. Am Ende verlässt sie ihn, und just als sie im Augenblick ihres größten Triumphs wieder Kontakt zu ihm sucht, erliegt er einem Anschlag: Ganz aus dem Leben gegriffen also – oder aus dem, was man so dafür hält, wenn man nur weit genug davon entfernt ist. Als Aphrodite im Stroboskoplicht beschränkt sich Mariah Carey auf die Ausstellung naiver Niedlichkeit. Selbst hartgesottene Fans dürften das Gähnen kriegen angesichts ihres begrenzten Mienenspiels, das nur von aufgeregtem Augenaufreißen bis zu traurigem Schnuteziehen reicht. Aber, und das stimmt dann doch wieder versöhnlich: Es ist immerhin ein größeres Ausdrucksregister als das von Rudolf Scharping.

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