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Krieg, Partei und Koalition

GAL weiß vier Tage vor dem Bundesparteitag noch immer nicht, was sie über Afghanistan und Rot-Grün in Berlin denkt  ■ Von Sven-Michael Veit

Von einem „schicksalhaften“ Wochenende wird in der GAL gemunkelt. Der Bundesparteitag in Rostock am Sonnabend, ursprünglich zur Verabschiedung des neuen grünen Grundsatzprogramms angesetzt, wird von zwei Themen dominiert werden: Der Krieg in Afghanistan und der Fortbestand der rot-grünen Bundesregierung. Als einziger grüner Landesverband hat die GAL bislang keine eindeutige Position bezogen: Die Afghanistan-Debatte wurde auf der Mitgliederversammlung (MV) am 3. November nach dem erzwungenen Rücktritt des Landesvorstandes von der Tagesordnung genommen.

Auf einem Treffen heute Abend wollen die 19 Hamburger Parteitags-Delegierten zusammen mit Kristin Heyne beide für die Zukunft der Grünen existentiellen Themen diskutieren. Hamburgs einzige grüne Bundestagsabgeordnete, als Parlamentarische Geschäftsführerin im Führungszirkel der Bundestagsfraktion, springt bei dieser Sitzung faktisch für den sprachlosen und handlungsunfähigen GAL-Vorstand ein. Der zurückgetretene, gleichwohl noch „geschäftsführende“ Parteichef Kurt Edler will an der Sitzung gar nicht mehr teilnehmen und sich „auch sonst nicht äußern“.

Es gehe ihr „nicht darum, die Delegierten auf Kurs zu bringen“, sagt Heyne, sie habe „einen Informations- und Meinungsaustausch“ angeboten. Der scheint auch erforderlich zu sein. Eine Stichproben-Umfrage der taz unter den Delegierten ergab kein einheitliches Bild. Sie seien genauso „zerrissen wie die Bevölkerung auch“, erklärten etliche, wie zum Beispiel die Wandsbeker Bezirksfraktionschefin Christiane Blömeke: „Ich bin noch überhaupt nicht festgelegt.“ Zwar würde sie „in der Tendenz“ für Krieg, Partei und Koalition stimmen, aber „letztlich muss man die Diskussion in Rostock abwarten“.

Heyne selbst hatte am Freitag im Bundestag die Vertrauensfrage von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder „nicht ohne Bauchschmerzen“ bejaht. In einer persönlichen Erklärung hatte sie „jede uneingeschränkte Solidarität“ mit der Kriegsführung der USA abgelehnt. Zugleich hatte Heyne ihr „Vertrauen“ in den grünen Außenminister Joschka Fischer und die „gesamte Verantwortung für die Koalition und die grüne Partei“ betont.

Ihre Meinungsbildung „weitestgehend abgeschlossen“ hat bereits Dorothee Freudenberg: „Dieser Krieg ist falsch, gefährlich und nicht verantwortbar“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete und Parteitagsdelegierte. Des Kanzlers „erpresserisches Junktim“ habe für sie die Frage aufgeworfen, „was Grüne eigentlich noch alles akzeptieren müssen für eine Koalition?“.

Die Ärztin, die vor acht Jahren von der SPD zur GAL wechselte und als nachdrückliche Verfechterin der Hamburger SPD-GAL-Koalition galt, ist vom „rot-grünen Projekt“ inzwischen nicht mehr vorbehaltlos überzeugt. Ausgerechnet „ich, die viele für eine Ober-Reala halten“, bezweifele jetzt „die Grundlagen für ein Weitermachen“. Das, grübelt Freudenberg, „ist doch irgendwie merkwürdig“.

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