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Die groß angelegte Zukunftsrekonstruktion

Science-Fiction als soziales und architektonisches Experiment: Die Crew der ,,c-base“ visualisiert in Mitte ihre Träume von einem eigenen Raumschiff

„Eine fantastische Geschichte, die in unseren Köpfen entstanden ist“

von HENNING KRAUDZUN

Jeder hat seine Träume. Und fast jeder hat sich schon einmal auf eine Raumstation gewünscht, hoch oben im All. Oder versucht diese nachzubauen – mit Legosteinen, auf dem Skizzenblock, in Gedanken. Nur direkt unter dem Häusermeer Berlins vergraben, dort vermutet kaum jemand ein Raumschiff. Doch dort werkeln fast 150 Crew-Mitglieder der „c-base“, um einen angeblich extraterrestrischen Koloss freizulegen. Sie glauben fest an die Vision von einer funktionierenden Station – im technischen wie im zwischenmenschlichen Sinne. „Was wir betreiben, ist eine groß angelegte Zukunftsrekonstruktion“, sagt Marten, der sich mit drei anderen Science-Fiction-Fans in einer Schöneberger WG das galaktische Projekt ausdachte.

Die zusammengesponnene Geschichte eines vor drei Millionen Jahren im märkischen Urstromtal gestrandeten gigantischen Raumschiffs mit einem Durchmesser von über 1.600 Metern hat Marten vermutlich schon hunderte Male erzählt. Fünf Jahre bastelte die Crew in einem schlauchähnlichen Keller unter den Hackeschen Höfen an etwas Einzigartigem. Dieser Teil der „c-base“ war so gut wie fertig, mit einer düsteren Blade-Runner- Ästhetik und der kompletten Infrastruktur. Doch dann kündigten die Hauseigentümer den Mietvertrag. Vor gut anderthalb Jahren musste das Ufo in die Rungestraße 20 ziehen.

Gleich im Eingangsbereich sind die Visionen am ehesten verwirklicht: mit seinem Charme zwischen der noch unerreichten Zukunft und den verstaubten Relikten einer längst vergessenen Technikepoche. Die Wände sind hier komplett mit dreißig Jahren Elektronikgeschichte bestückt, zusammengeschweißte Apparaturen und alte, flackernde Monitore nehmen den Besucher in die Zange. Darüber schweben zwei große Ventilatoren. In der Mainhall, der gemütlichen Lounge aller Crew-Mitglieder und ihrer Gäste offenbart sich die Future in eigenwilligen Objekten: Hier stehen große Maschinenskulpturen von Drahtsegeln umhüllt. Selbst Robotron scheint es in der Zukunft wieder zu geben, wie es große Rechnertürme im Schrankformat, in einer Reihe aufgestellt, glaubhaft machen wollen.

„Es ist schon eine fantastische Geschichte, die in unseren Köpfen entstanden ist und sich zum Teil visualisiert hat“, erzählt Marten, der als Diplomarchitekt sein Faible für zukunftsträchtige Modelle auch in eine eigene Firma umgemünzt hat – zusammen mit Christian und zwei anderen Computerprofis. „Wir hatten damals die Idee, eine Plattform zu gründen, über die man ein Netzwerk von Leuten aufbaut“, sagt Marten. Alle mit einer großen Begeisterung für Science-Fiction. Dabei müsse man sich die Base in der Form eines großen C vorstellen, eine Klammer, die als nie vollendete Form einen unerschöpflichen Pool von Ideen darstellt, mit dem Fernsehturm als Sendemast. „Den wollen wir von der Telekom irgendwann wieder zurückhaben“, sagt Marten und lacht. Während die Mainhall der räumliche Mittelpunkt des Ganzen ist, beginnen die sechs anderen Module mit dem Buchstaben C. Marten zählt auf: „Communication, Culture, Creactive, Cience, Carbonite und eben Clamb, die Klammer des Projekts.“ Diese Begriffe böten für jedes Mitglied des Vereins einen Arbeitsbereich, in dem er sich selbst verwirklichen könne und seine Fähigkeiten in die Gemeinschaft einbringe, so Marten. Es soll wie eine Zukunftswerkstatt funktionieren.

„Natürlich ist auch der soziale Aspekt ganz wichtig auf der c-base“, sagt Christian. Immerhin sei ihr Projekt nicht nur eine Schnittstelle für ein technikerfülltes Leben, sondern habe bereits vielen den Einstieg in einen Multimedia-Job ermöglicht. Über Workshops und Seminare hätten viele einen fundierten Einblicke in die Computer- und Medienwelt bekommen. Auch wenn einige Dinge im Verein chaotisch ablaufen, haben große Firmen wie Pixelpark die Eigendynamik der „c-base“ erkannt und unterstützen den Aufbau des Raumschiffs. Und geschulte Leute mit guten Kenntnissen in der Internetadministration, den Netzwerksystemen und der Programmierung rekrutierten die Firmen gleich für Jobs. Learning by doing und eine uneigennützliche Vermittlung von Kenntnissen: Vielleicht steckt da ein wenig der Ansatz von zukünftigen Arbeitsbeschaffungsprogrammen drin. Mittlerweile bestehe für die zweite „c-base“ auch eine relative Planungssicherheit, da das Haus in eine Genossenschaft umgewandelt worden sei, sagt Christian. Und diese Sicherheit bräuchte man nicht nur für den weiteren Ausbau der verwinkelten Räume, sondern auch für die Komplettierung der Werkstätten, für die nächsten anstehenden Projekte. Denn jeder der über vierzig aktiven Crew-Mitglieder trägt eigene Ideen mit sich herum, die er am liebsten morgen verwirklichen möchte. Dabei geht es vielen weniger um Netzwerkdinge, sondern um hochgeistige Ideen, um Kunstausstellungen, Theaterstücke und philosophische Abhandlungen. Andere wiederum basteln an Roboterhänden, stellen Raumanzüge her oder designen die Gesichter des Weltalls. Für eine freiwillige Symbiose aus Technik- und Geisteswissenschaften ist die „c-base“ wohl das beste Beispiel: „Forschung, Kunst und Fortbildung sind die wesentlichen Pfeiler der Vereinsarbeit“, betont Marten.

Für gemeinschaftliche Projekte, wie dem vor wenigen Tagen durchgeführten @TC-Festival, den Tagen der offenen Tür, entwickeln die Crew-Mitglieder Konzepte, um ihren Verein von seiner schrägsten Seite zu zeigen, publikumswirksam und bizarr zugleich.

So flimmerten computeranimierte Weltraumspektakel über die Leinwand, Themenabende mit Vorträgen wurden veranstaltet, verträumte Comiczeichnungen ausgestellt. Vor allem aber versuchte das Festival einen gemeinsamen Nenner zu vermitteln: Open-Source-Bewegung, eine Zukunft für alle und die Möglichkeiten einer freien Kommunikation weltweit. Und ohne alle Fragen immer ernsthaft angehen zu müssen, war in den Aufführungen der „Rocky Horror c-Base Show“, eines Theaterstücks, in dem fast der komplette Vereinsvorstand mitspielte, viel von dem Lebensgefühl der Raumschiff-Leute untergekommen. Eine rasant-witzige Spöttelei über jene Zukunft, die heute fast schon greifbar ist.

Weitere Infos: www.c-base.org

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