strübel & passig: Zu Gast beim richtigen Leben
„Aus dem Internet. Wir kennen uns aus dem Internet“, sagt die Gastgeberin verlegen. „Die hab ich kennen gelernt, als ich von Aliens entführt wurde“, käme ihr kaum schwerer über die Lippen. „Das sind Äh-Ira, Äh-Kathrin, und . . . Hatifnatten, wie heißt ihr eigentlich?“ „Sebastian“, gestehen die Hatifnatten ihre bürgerliche Singularexistenz ein. Ab jetzt wird auch Äh-Sebastian eine kleine Wie-sag-ich-in-der-Kohlenstoffwelt-Denkpause vor seinem Namen tragen.
Die anderen Gäste werfen uns scheele Blicke zu. „Sozialspasten, Loser“, hört man sie denken, „und überhaupt, wer hat denn so viel Zeit übrig?“ Wer hätte gedacht, dass die nette Gastgeberin so was nötig hat? Leute im Internet kennen lernen? Wohlgefällig lassen sie sich ihre ordnungsgemäßen Sozialkontakte durch den Kopf gehen. Es wird ein schwieriger Abend werden.
Die Analphabeten, die an dieser Stelle noch vor zwei, drei Jahren devot „Internet, ja, damit muss ich mich endlich auch mal beschäftigen“ gemurmelt hätten, sind in der Zwischenzeit zu funktionalen Analphabeten herangewachsen. Sie wissen, dass man im Netz recherchieren kann, finden aber nichts. Sie haben eine gmx-Adresse, und wenn sie die nicht vergessen, rufen sie sogar jede zweite Woche ihre Mail ab. Eine halbe Stunde gechattet und den Kopf darüber geschüttelt haben sie auch schon mal. Sie haben halt noch ein Leben, wie sie bei Bedarf gern durchblicken lassen.
Wenn sie freundlich sein wollen, fragen sie Dinge wie: „Was ist eigentlich besser, AOL oder T-Online?“, oder „Mein Computer macht so komische Geräusche, ist das ein Virus?“ „Darauf erst mal einen Schnaps“, erwidern wir ebenso verbindlich, um nach nebenan zu verschwinden und nicht wiederzukommen. Denn erstens soll man nahe liegende Recherchemöglichkeiten ausschöpfen, bevor man andere Menschen belästigt, zweitens sind diese Themen weiß Gott zu langweilig für Partygespräche, und drittens lässt sich ohnehin nicht abschließend beantworten, wohin sich der Fragesteller die neue ISDN-Karte stecken soll.
Aber auch wenn wir mustergültige Sozialkompetenz demonstrieren, schweigsame In-der-Küche-Herumsteher meiden und niemandem verraten, dass wir manchmal freitagabends zu Hause bleiben, um in der Nase zu bohren, wird das Gespräch früher oder später in unangenehme Bahnen geraten. Wer zugibt, irgendeine Information ergoogelt zu haben, verrät sich als Geek – wer mit dem Auto Zigaretten holen fährt, ist ja auch jemand, der sich „für Autos interessiert“. Latent vorwurfsvolle Gespräche über das Internet folgen. Das sei doch alles nichts, nee, also dann schon lieber Menschen von Angesicht zu Angesicht. Wenn die sagen, sie sind Frauen, dann sind das auch welche, und sie brauchen sich nicht hinter blöden Pseudonymen zu verstecken. Da sind sich Schnuppi, Muschi und Schlaubi mal einig.
Gerechtigkeitshalber muss allerdings gesagt werden, dass auch vollständig alphabetisierte Netznutzer den Kommunikationswegen fremder Leute nicht ohne Misstrauen gegenüberstehen. „IRC“ sagen die einen Gäste, „ICQ“ die anderen. „Babyklasse! Mädchen! Neophyten!“, denken die einen. „Fossilien! Nerds!“, die anderen. „Masochisten“, denken beide.
Diplomatische Gastgeber behaupten beim nächsten Mal, uns alle aus der Stillgruppe zu kennen. Vielleicht hilft’s.
KATHRIN PASSIG
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