Streit um den doppelten Kafka

Lange waren Franz Kafkas Handschriften nur Forschern zugänglich. Jetzt soll es zwei Faksimileausgaben geben

Manchmal scheinen Vorgänge über Jahre hinweg zu ruhen. Plötzlich aber geht es Schlag auf Schlag. Im Falle des großen Franz Kafka ist das gerade so. Anfang Oktober stellte der Frankfurter Stroemfeld Verlag die beiden ersten Bände der so genannten Quarthefte im Rahmen seiner Historisch-Kritischen Kafka-Ausgabe vor. Das war ein Paukenschlag. Die Herausgeber, Roland Reuß und Peter Staengle, verknüpften mit ihrer Faksimileausgabe die These, es handle sich bei den Heften gar nicht um Tagebücher, sondern vielmehr um Arbeitskladden (siehe taz vom 8. 10.); stimmt das, müssen ganze Regalmeter an Sekundärliteratur überprüft werden.

Der zweite Paukenschlag folgt jetzt. Die Universität Wuppertal meldet, Hans-Gerd Koch von der dortigen Kafka-Forschungsstelle wolle „sämtliche Handschriften des Schriftstellers Franz Kafka (1883–1924) fotografieren“. Im Jahr 2004 sei eine Veröffentlichung der Faksimiles geplant.

Koch ist im Nebenberuf Redakteur der Kritischen Kafka-Ausgabe des Frankfurter Fischer Verlags. Man kann schon ins Grübeln kommen, denn Koch kündigte im Prinzip genau das an, woran Reuß/Staengle bereits seit Mitte der Neunzigerjahre arbeiten. Die Unterschiede liegen im Detail: Aus Wuppertal wird vermeldet, man wolle anders als bei Stroemfeld sich nicht mit Schwarzweiß begnügen, sondern Farbreproduktionen der Kafka-Handschriften erstellen.

Und, auch nicht unwichtig, es wird mitgeteilt, die aufwändigen Reproduktionen der zum größten Teil in der Oxforder Bodleian Library lagernden Handschriften werde „mit mehreren hunderttausend Mark“ von der Alfried Krupp von Bohlen undHalbach Stiftung gefördert. Hans-Georg Koch im O-Ton: „Die Förderung der Stiftung bezieht sich allerdings lediglich auf die Farbreproduktion der Handschriften zur Sicherung und zum Verbleib bei den Besitzern. Mein Vorschlag an den Fischer Verlag geht dahin, jedem Band der bereits existierenden Kafka-Ausgabe einen Faksimileband beizufügen. Sollte der Verlag sich dazu entschließen, müsste er bei den jeweiligen Besitzern der Handschriften Kopien der Reproduktion anfordern und die entsprechenden Gebühren bezahlen.“ Und er legt Wert darauf, dass es künftig unter Umständen zwar zwei Faksimileausgaben geben könnte, die aber unterschiedliche Klienteln bedienten und nebeneinander existieren könnten.

Der Konjunktiv ist hier wichtig. Im Klartext heißt seine Äußerung: Ob im Fischer Verlag tatsächlich Faksimilebände erscheinen werden, ist noch nicht sicher. Das aber könnte bedeuten: Die einen fotografieren erst mal mit viel Stiftungsgeld die Manuskripte, die anderen machen nur mit Eigenkapital weiter die Faksimileausgabe.

Klar, dass man im Hause Stroemfeld aufgebracht ist. Roland Reuß: „Farbe oder nicht Farbe ist in Bezug auf Kafka-Handschriften eine völlig überflüssige Frage. Es handelt sich ganz einfach um schwarze Tinte auf weißem Papier. Was mich immens stört: Zuerst hat Herr Koch unser Projekt einer Faksimilierung der Kafka-Handschriften mit aller Vehemenz bekämpft. Jetzt meint er, auf unseren Zug aufspringen zu müssen, um damit den Fortbestand seiner Wuppertaler Forschungsstelle zu legitimieren.“ Das hört sich nicht danach an, dass die verschiedenen Kafka-Herausgeber noch einmal dicke Freunde werden könnten.

JÜRGEN BERGER