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Die Story zählt

Erwachsenwerden und Tod: Medien benutzen Grüne als Markt der Gefühle

von BARBARA DRIBBUSCH

Die Grünen sind nicht überflüssig. Warum denn auch? Gerade die vergangenen Wochen mit den Auseinandersetzungen über die Militäreinsätze in Afghanistan haben gezeigt: Keine Partei dient so wunderbar als Projektionsfläche für Geschichten von Macht, Demütigung, Hoffnung, Enttäuschung, Liebe und Tod. Die Grünen sind ein Gefühlssupermarkt für politische Kommentatoren und für die Öffentlichkeit. Bestimmte Muster werden besonders häufig benutzt.

Beliebt ist die Metaphorik des Erwachsenwerdens, die Grünen-Geschichte wird dabei gewissermaßen als Entwicklungsroman betrachtet. Wird der junge Held oder die junge Heldin den Ernst des Lebens erkennen, die Härten der Wirklichkeit, die ihm klare Beschränkungen auferlegt? Die Tatsache, dass die Grünen erst 1980, also lange nach den anderen großen Parteien gegründet wurden, wird der Partei zum Schicksal. Aber man ist gnädig gegenüber den Dauerjugendlichen, solange sie im richtigen Moment ein bißchen Einsicht zeigen. „Bei aller Protestfolklore sind die Grünen originäre Kinder der Bundesrepublik und des Westens“, hieß es großzügig in der Welt. Den Grünen-Chefs gesteht man dabei eine Elternrolle zu, die eher basisnahen Grünen hingegen müssen unabhängig vom Lebensalter ewig kleinbleiben. „Joschka Fischer hat die Partei als Vehikel zum Erwachsenwerden benutzt; die Mehrheit jedoch scheint gewillt, eher kindische und urdeutsche Eigenheiten zu betonen: Verantwortungslosigkeit und moralische Unbedingtheit“ schreibt die Welt zum Streit um die Militäreinsätze. Interessant die Verbindung von „Kindlichkeit“ und „Urdeutschtum“.

Aber es gibt noch gewagtere Konstruktionen: „Der Grünen-Spitze geht es wie 68er Pädagogen, die ihren verwöhnten Kindern gegenüber verteidigen müssen, dass der böse Rektor sie mit dem Rohrstock schlägt“ hieß es im Tagesspiegel zum Konflikt der Grünen-Spitze mit der kriegsunwilligen Basis, die sich über Kanzler Schröder ärgerte. Ja, die Grünen müssen erwachsener und härter werden. Dass viele der Pazifisten dabei zur älteren Grünen-Generation gehören, ist zwar Tatsache, würde die schöne Metaphorik aber nur stören.

Der Militäreinsatz war noch gut für eine weitere Geschichte, der Geschichte nämlich von den kleinen Jungs, die zu harten Männern heranwachsen, wenn sie in den Krieg ziehen, und deren Mütter, die so furchtbar Angst um sie haben. Es geht also auch um die Metaphorik von Männerhärte und Mutterherz.

SPD-Vormann Gerhard Schröder gab nach seinem Besuch des Katastrophenortes in New York den „in der Krise zum Staatsmann gereiften Kanzler“, dichtete der Kölner Stadt Anzeiger. Grünen-Chefin Claudia Roth hingegen, die zwischenzeitlich ein Stopp der Bombardements in Afghanistan forderte, wird als „von Emotionen geleitete Politikerin“ (Süddeutsche Zeitung), im Spiegel gar als „Mutter Beimer“ betitelt. Im Tagesspiegel werden ihr „runde, braune Puppenaugen“ attestiert und vom „körpernahen“ Umgang im grünen Parteirat berichtet.

Es ist nichts als ein Zufall, dass ausgerechnet die Grünen-Chefin, die einen vorläufigen Bombenstopp forderte, in ihrer Physis und ihrem Auftreten dem männlichen Klischee von Mütterlichkeit entspricht. Beides hat nicht unbedingt etwas miteinander zu tun, ergibt aber zusammen ein Bild, das sich einätzt.

Die Grünen-Geschichte liefert aber noch eine Metaphorik, die vielleicht die stärkste ist: Die Metaphorik des tragischen Gewissenskonflikts. In der griechischen Tragödie endet der Konflikt mit dem Tod des Helden, und so fordern es manche Medien jetzt auch von den Grünen.

Zwischen „Macht und Gewissen“ müßten sie wählen, gibt der österreichische Standard vor. Zur bevorstehenden Entscheidung auf dem grünen Parteitag über den Militäreinsatz und damit auch über das Fortbestehen der rot-grünen Koalition schreibt die Sächsische Zeitung: „Es wird die Wahl zwischen Pest und Cholera. Der Tod scheint vorbestimmt“. Vielleicht soll der Tod aber auch nur kommen, damit die Geschichte stimmt. Und vielleicht wird dies verhindert, indem sich plötzlich eine neue Geschichte entwickelt. Die Story muß nur gut sein.

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