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Falsche Herzen made of Teig

Das letzte Wort war „handgemacht“: Am Wochenende lud die Waldorfschule Kreuzberg zu ihrem Weihnachtsbasar

Waffeln. Niemals ohne Waffeln. Anfangs ist es nur eine Ahnung. Metallisches Licht, eine rötliche Legierung verklärt die Gesichter der S-Bahn-Passagiere. Die Kälte hat den Samstag glattgezogen wie ein Laken, keine Knitter, alles ist gespannt. Und wie sich an der Warschauerstraße beim Umsteigen in die U-Bahn der Blick losreißt und dem winterpastell eingefärbten Horizont entgegenstürmt. Was für ein Tag für einen Weihnachtsbasar! Aber was. Als ich endlich an der Waldorfschule in der Ritterstraße ankomme, hat sich der Tag ins Trübe gesenkt. In den grauen Himmel ragen auf dicken Rohren die roten Infobox-Anteile des Gebäudes, ein aufgefächerter Oktaeder oder so.

Darunter laden Stände zum Stöbern ein. Das sind vor allem Kunsthandwerkprofis, die sonst auf den einschlägigen Berliner Märkten zu finden sind. Handgemachte Glasfedern, alles für die modische Nostalgiepuppe, Federmäppchen aus gedämpftem Birnenholz, Keramik. Ich könnte eine Sammlung ornamentaler Grußkarten kaufen und dazu den Vertiefungskurs „Rhythmische Einreibung“ buchen, was allerdings daran scheitert, dass ich den Grundlagenkurs „Massieren-Ölen-Bewegen“ versäumt habe. Stattdessen tue ich, was alle tun: Ich setze Hüte auf und nehme sie mit großer Erleichterung wieder ab.

Diese sind nach der Rastalockenmethode gewalkt: Das Vlies wird gerieben, mit Seife behandelt, gekocht und verfilzt. Das ergibt plumpgelockte Kronen und stumpfes, auswegloses Gewebe, das immer für eine Phobie gut ist. Nur am letzten Stand, über dem eine gußeiserne Eule thront entspricht das Angebot den prekären Erfordernissen des Ortes: Schmale Büttenausgaben von Rudolf Steiners Schriften sind mit durchsichtigen Plastikfolien vor dem ersten Zugriff geschützt. Daneben stehen hölzerne und steinerne Kugeln zum Verkauf, sowie das besondere Geschenk: eine Bowlingkugel aus den zwanziger Jahren, als es noch keinen Kunststoff gab, wie der freundliche Schrat versichert. Im Innern der Schule, im Oktaeder-Atrium gibt es Luft zum Atmen nicht anders als aromatisiert.

Das ernsteste Liebespaar, das die Welt je sah, steht still und hält sich aneinander fest, als stünde es in der Brandung und nicht im Wabern der Waffeln. Also auch hier: Mehrere stationäre Waffelterminals, immer die gleichen, fabrikneuen Eisen in Gebrauch, versorgen die Gäste mit jenen falschen Herzen made of Teig, die ich immer abgelehnt habe. Es zeigt sich: Waffeln sind die conditia sine qua non jedes Schulbasars, und seien sie auch, wie hier, ausschließlich aus Vollkornteig geprägt. Ansonsten gibt es Walnüsse mit Federn, Gefaltetes und von innen Beleuchtetes, Quittenbrot, Lavendelkissen und Puppengeschirr.

Außerdem Kekse, die laut Aushang ein Vorgeschmack auf die vier Temperamente sind, viel Feng Shui, Sternenwelten, Traumfänger und direkte Demokratie. Authentische Bastelarbeit ist entweder bereits ausverkauft oder nicht vorgesehen. Die Schülerschaft hat sich eher auf die kulinarische Seite geschlagen: Selbstverfasste Salate, zum Wiener Cafe umdekorierte Klassenzimmer, Pasten und Kuchen. Vor Begeisterung ganz heisere Kinder stürmen entlang der fünfundvierzig Grad Winkel und reißen sich die Mützen vom Kopf. Im oberen Eurythmiesaal wird Zaubertheater geboten.

Ein nervöser kleiner Hund, der wie ein Ferkel mit Fell aussieht, tänzelt und kläfft, eine hündische Geste, die trotz des allgemeinen Trubels Missfallen erregt. Im Projektcafé Nahost tauscht sich eine Dreiergruppe über die Kraft menschlicher Spiritualität aus, die dazu in der Lage sei, die Zeit um Zehntelsekunden anzuhalten. „Handgemacht“ ist das letzte Wort, das ich höre, als ich den Schulhof verlasse. Ein einzelnes Bullauge leuchtet hell in dem roten Überbau auf Stelzen, den formlosen Mond weit hinter sich lassend.

MONIKA RINCK

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