: Seveso an der Elbe
In Tschechien lagert tonnenweise giftiges Dioxin. Gefahr bei Hochwasser. Die ÇSSR produzierte ein Herbizid, das die USA im Vietnamkrieg einsetzten
aus Prag ULRIKE BRAUN
Eine Zeitbombe tickt an der Elbe: Dioxin. In stillgelegten Gebäuden der Firma Spolana Neratovice gammelt das Seveso-Gift seit über 30 Jahren tonnenweise vor sich hin. Nur ein paar Meter und die baufälligen Mauern alter Fabrikhallen trennen es vom Elbufer. Experten und Umweltaktivisten befürchten, dass das nächste Jahrhunderthochwasser den unsichtbaren Tod in die Fluten der Elbe und damit in weite Teile Nordböhmens und Deutschlands spülen könnte.
Grau und heruntergekommen wirkt das Städtchen Neratovice, rund 25 Kilometer nordöstlich von Prag. Kaum heben sich die drei verlassenen Gebäude am Flussufer von ihrer Umgebung ab. Außer einem halbfertigen Betonsarkophag, mit dem eines der Gebäude vor drei Jahren umbaut wurde, weist kaum etwas auf die Gefahr hin, die sich hier verbirgt.
Seit 1968 sind die ehemaligen Produktionshallen der Spolana Neratovice verwaist. Sie zu betreten käme einem Selbstmord gleich. So sehr hat das Dioxin, das seitdem offen dort lagert, die unmittelbare Umgebung verseucht. 1992 setzte ein Forschungsinstitut für Toxikologie drei Versuchskaninchen in den Gebäuden aus. Nur durch das Einatmen der kontaminierten Luft starb das erste nach sieben Tagen. Sie wurden einer Dioxin-Konzentration ausgesetzt, die chemischen Analysen zufolge bis zu 24 Mikrogramm (millionstel Gramm) pro Gramm beträgt.
Das Dioxin an der Elbe ist ein giftiges Erbe eines finsteren Kapitels der tschechoslowakischen Geschichte. Zwischen 1965 und 1968 stellte die damals staatliche Spolana Neratovice das Herbizid 2,4,5 T her, Grundstoff für das berüchtigte Agent Orange, mit dem die USA einst halb Vietnam entlaubten und dessen Bevölkerung, wie auch die eigenen Soldaten vergifteten. Ein Mitarbeiter der Firma bestätigte unlängst, dass das Herbizid über verschlungene Handelswege an die Amerikaner verkauft wurde. Während man in tschechoslowakischen Schulen für vietnamesiche Kinder sammelte, profitierte die kommunistische Regierung von diesem Krieg.
Nachdem im Jahre 1968 rund 80 Mitarbeiter der Spolana an Dioxinvergiftung erkrankt waren, wurden die Herbizid-Produktion eingestellt und die Produktionshallen samt ihres Inhalts schlicht verlassen.
Seit einiger Zeit versucht nun die Umweltschutzorganisation Greenpeace auf die Dioxin-Lagerung aufmerksam zu machen. „Dioxine sind hochgiftige Stoffe, die schon in extrem niedrigen Dosierungen Krebs verursachen und das Nerven- wie Immunsystem schädigen“, erklärt der Leiter der Greenpeace Kampagne, Dr. Miroslav Šuta. Als wesentliche Gefahr betrachten die Umweltschützer größere Hochwasser. Da die verseuchten Objekte unmittelbar an der Elbe liegen und wegen ihres desolaten Zustandes deren Fluten kaum standhielten, könnte das Gift bei einer Überschwemmung in den Fluss gelangen und weiter Richtung Nordsee fließen. Deshalb fordert Greenpeace nun den Bau eines Deiches, der eine Katastrophe verhindern soll. Die tschechische Regierung weiß um die Gefahr, ist aber bisher untätig geblieben.
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