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Nicht einmal ein Grüßossi

In der SPD eskaliert der Ost-West-Konflikt: Bei der Wahl des Parlamentspräsidenten tritt ein Ostberliner Sozialdemokrat gegen den von der Parteiführung favorisierten Walter Momper an

von ROBIN ALEXANDER

Schon die erste Personalentscheidung nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus bedeutet Ärger für die sozialdemokratischen Wahlsieger. Die SPD spaltet ein Ost-West-Konflikt, der sich an der Besetzung der Funktion des Parlamentspräsidenten entzündet.

Heute gegen 15.30 Uhr fällt die Vorentscheidung, wer am Donnerstag in das Amt gewählt wird. Die SPD hat als stärkste Fraktion ein Vorschlagsrecht. Neben Walter Momper (56) bewirbt sich ein berlinweit bisher eher unbekannter Kandidat: Torsten Hilse (46) aus Pankow.

Hilses Kandidatur ist jüngster Ausdruck eines Konfliktes, der seit Wochen schwelt: Die Sozialdemokraten aus dem Ostteil sehen sich auf allen Ebenen unterrepräsentiert. Dieses Problem stellt sich mit dem schwachen Abschneiden der SPD im Ostteil der Stadt und dem weiteren Erstarken der PDS mit neuer Dringlichkeit. Insbesondere Ralf Hillenberg, Abgeordneter und Vorsitzender des Kreisverbandes Pankow, führte in den vergangenen Wochen geradezu einen Kreuzzug für größere Repräsentanz von „Menschen mit DDR-Biografie“.

Mahnende Unter-vier-Augen-Gespräche mit Parteichef Strieder und Fraktionschef Müller fruchteten nicht: Hillenberg organisierte vergangenen Freitag ein Treffen von Ostabgeordneten und Ostfunktionären, um einen Ostkandidaten auf den Schild zu heben. Hillenbergs Konfliktkurs hat jedoch auch potenzielle Mitstreiter verschreckt. Der eigentlich vorgesehene Kandidat Jürgen Radebold sagte ab.

Dafür tritt nun Torsten Hilse an. Der frühere Drucker und heutige Agenturbetreiber war Teilnehmer am legendären Gründungstreffen der SDP in Schwante 1989, saß bis 1995 im Abgeordnetenhaus und schaffte es jetzt wieder ins Parlament. Hilse begründet seine Kandidatur, die SPD stehe für die Einheit und müsse „beginnen, dies auch personell kenntlich zu machen“.

Ganz anders Walter Momper. Der ehemalige Regierende Bürgermeister und 1999 gescheiterter Spitzenkandidat ist „’ne Marke“ in der Berliner Landespolitik und fungierte in den vergangenen zwei Jahren bereits als stellvertretender Parlamentspräsident. Auch Momper wirbt mit deutsch-deutschen Argumenten für seine Kandidatur: Als Regierender des Mauerfalls stehe er für die damalige Einheitsstimmung.

Gegenüber noch unentschlossenen Abgeordneten setzt die Fraktionsführung auf Mompers „bewiesenes Redetalent“. Hilse dagegen sei „rhetorisch schwächlich“ und nicht in der Lage, sich neben dem bereits von der CDU nominierten Stellvertreter, dem ehemaligen Kultursenator Christoph Stölzl, zu behaupten.

Ein Triumph des unbekannten Hilse gegen Momper scheint unwahrscheinlich. Um ein eindeutiges Ergebnis muss Berlins prominenteste Glatze jedoch zittern. Denn die elf sozialdemokratischen Abgeordneten aus dem Ostteil der Stadt wollen geschlossen für Hilse stimmen. Bis zu neun Fraktionsmitglieder aus Westberlin, die im „Britzer Kreis“ der SPD-Rechten engagiert sind, wollen ebenfalls für den Ostkandidaten votieren. Bei insgesamt 44 Abgeordneten müsste es also für Momper reichen. Wichtig wird, wie dieser morgen vor der Fraktion sein Engagement für eine Projektentwicklungsfirma in der Baubranche erklärt, das er auch als Parlamentspräsident nicht vollständig aufgeben will.

Die endgültige Entscheidung könnte der Regierender Bürgermeister herbeiführen. Klaus Wowereit hat sich bisher öffentlich bedeckt gehalten. Plädiert er vor der Fraktion für ein geschlossenes Abstimmungsverhalten pro Momper und deutet gleichzeitig an, welche Funktionen Ostberliner Sozialdemokraten in Zukunft übernehmen könnten, hieß es gestern, dann sei ein offener Riss in der Fraktion noch abwendbar.

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