: Martin Walser und die „Jungen Linken“
■ Lesung im Schauspielhaus unter massivem Polizeischutz / Tumulte auch drinnen
„Not a love song“ war eine der Unterzeichner-Gruppen unter dem Flugblatt, das am Montag Abend auf dem Goethe-Platz verteilt wurde, und entsprechend war denn auch das unübersehbare Polizeiaufgebot von zehn Kleinbussen rund ums Schauspielhaus. Die Buchhandlung „Phönix“ und das „Bremer Theater“ luden zur Lesung von Martin Walser. „Bei uns sind Antisemiten herzlich willkommen“ lautete die Aufschrift eines Transparents. Vor dem Eingang verteilten rund 50 netten junge Menschen die böse Zettel. Die Nachfrage, ob es sich hier um eine genehmigte Demonstration handele, beantwortete ein Beamter mit einer Gegenfrage: „Welche Demo?“
Drin. Das Haus ist voll. Eine klitzekleine Anmoderation und weise vierundsiebzig Jahre bewegen sich zum Rednerpult (Applaus), weitere 220 Jahre in Form eines Pulks junger Leute entern die Bühne (Buh). Während einer versucht etwas vorzulesen, was im Tumult auf akustische Gegenwehr stößt, entrollen andere ein Laken „Kein Friede mit Deutschland – Gegen Antisemitismus und völkischen Wahn“. Nach drei, vier Minuten werden die Tunichtgute aus dem Hause gezerrt, wobei ein männlicher Gast sie lautstark entließ: „Ihr seid schöne Demokraten – anstatt hinterher zu diskutieren!“ Beifall.
Ruhe kehrt ein, Walser will endlich loslegen, doch die Stimmung ist im Arsch. Er erzählt einleitend, dass ihm „so etwas“ in letzter Zeit öfter passiert ist. „Als Folge grotesker Zurichtung von aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen“. „In letzter Zeit“ heißt seit dem 11. Oktober 1998, dem Tag, an dem Walser den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt und in seiner Dankesrede seiner Sehnsucht darüber Ausdruck verlieh, die „geschichtliche Last“ des Holocaust endlich abschütteln zu dürfen. Von der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ sprach der Dichter damals und wehrte sich dagegen, dass Auschwitz zur „Drohroutine“ werde, zur „Moralkeule“, oder auch nur zur „Pflichtübung“.
Die Gruppen „not a love song“, „Antinationale Gruppe“, „Junge Linke“ und „Gruppe 42“ hatten von den Organisatoren im Vorfeld die Absage der Lesung gefordert. Sie werfen Walser vor, damit „den Stammtisch-Antisemitismus, die Erinnerungs-Abwehr salonfähig“ gemacht zu haben. Auch in seinem aktuellen Roman „Der Lebenslauf der Liebe“, aus dem Walser vorgestern in Bremen las, wollen die Aktivisten antisemitische Tendenzen ausgemacht haben: Der Protagonist ist ein „widerwärtiger Börsenspekulant“. Damit habe Walser einen „antisemitischen Stereotyp“ verwendet, so seine Gegner. Das könne der Autor auch nicht dadurch überdecken, dass die einzig positive Figur im Buch ein Jude sei. Chos/jank
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