: Apartheid aus der Asche
Im Haus der Kulturen der Welt räsonierte der Sozialwissenschaftler Ato Sekyi-Otu über die Aktualität Frantz Fanons
Einst gehörten die Bücher von Frantz Fanon, dessen Manifest „Die Verdammten dieser Erde“ vor 40 Jahren erschien, zur Pflichtlektüre der bundesdeutschen 68er Generation. Einer dieser „68er“, der Schriftsteller Hans Christoph Buch, hat sich oft vor Ort mit jenen kolonialen und nachkolonialen Gewaltsituationen auseinander gesetzt, die Fanon so einfühlsam beschrieb.
Dem Publikum im Haus der Kulturen stellte er am Montag nun den Sozialwissenschaftler Ato Sekyi-Otu vor, der im kanadischen Toronto lehrt. Dieser träumte in seinem Vortrag Fanons Traum von einer weltumspannenden Ethik jenseits allen Rassedenkens weiter – einer Ethik, die sowohl die Verschiedenheit der Menschen anerkennt als auch die eine Menschlichkeit jenseits aller Unterschiede. „Politische Moralität jenseits der Apartheid“ nennt das Sekyi-Otu, und meint mit „Apartheid“ nicht nur das verflossene rassistische Regime in Südafrika und seine Ideologie, sondern – im Anschluß an Fanon – jede soziale Ordnung, die Menschen zwangsweise nach dem willkürlichen Kriterium der sogenannten „Rassenzugehörigkeit“ klassifiziert und voneinander trennt.
Fanon sei der erste gewesen, der die Apartheid und die sogenannten „Rassenverhältnisse“ – treffender gesagt: den Rassismus – angemessen dargestellt habe. „Angemessen“ bedeutet für Sekyi-Otu: aus dem Blickwinkel eines „visionären Realismus“. Das ist für ihn eine Perspektive, die die Tatsache, daß Menschen als Angehörige sogenannter „Rassen“ wahrgenommen werden, nicht als selbstverständlich hinnimmt, sondern das Verschrobene, Unmenschliche an dieser Vorstellung aufzeige und an ihrer Überwindung arbeite, und daher „visionär“ sei.
Anders sehen dies etwa die afroamerikanischen Theoretiker des Afrozentrismus, die Sekyi-Otu zufolge die sogenannte „Rassenzugehörigkeit“ zum entscheidenden Merkmal menschlicher Identität stilisierten. Sein „Schwarz-Sein“, hält Sekyi-Otu dagegen, höre spätestens dann auf, von zentraler Bedeutung zu sein, wenn er sich per Flugzeug in sein Heimatland Ghana begebe. Sehr wohl aber gebe es dort eine „soziale Tyrannei“, eine Welt der Apartheid im erweiterten Sinn: „Herren gegen Sklaven, Männer hehen ihre Ehefrauen, Eltern gegen Kinder, Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer“. Wer sich aber im gedanklichen „Imperialismus der Fixierung auf die Rassezugehörigkeit“ verliere, müsse diese Verletzungen der Menschenwürde entweder verdrängen, oder stehe ihnen hilflos-schockiert gegenüber.
Demgegenüber empfiehlt Sekyi-Otu, die „Banalität des sozialen Bösen“ anzuerkennen, und die sei eben „farbenblind“. Bei der Heilung der Wunden von Kolonialismus und weltweiter Apartheid gehe es letztlich nicht darum, das die „Verdammten dieser Erde“ zurückholen, was ihnen gestohlen wurde: Das – so machte schon Fanon deutlich – ist nur eine Etappe im Prozeß der Dekolonisierung. Doch die vom Kolonialismus und seinen Spätfolgen geschlagene Wunde werde nicht durch Raub und Gegenraub geschlossen, sondern vielmehr durch die Wiederaufnahme einer – durch den Kolonialismus unterbrochenen Geschichte – letzten Endes durch die „Wiederaufnahme unseres Dialoges miteinander, mit uns selbst“, so Sekyi-Otu.
Der Universalismus – die Vorstellung von Menschenwürde, menschlicher Individualität und sogar von der Demokratie als der eigentlich passenden Daseinsform des Menschen – all dies sei kein exklusiver Besitz des Westens oder Europas, sie existiere vielmehr in allen Kulturen. Um die menschenfreundlichen Elemente in den verschiedenen Kulturen auch zu bergen und sichern, empfahl Sekyi-Otu einen „Universalismus, der im Heimischen fußt“, den er vom Universalismus globaler Eliten ebenso ab wie vom politischen Internationalismus abgrenzte.
An dieser Stelle zog er auch gegen gegen jene „merkwürdigen Freunde der Humanität“ zu Felde, „die am liebsten das Universelle horten würden, um sich – wie die berühmten Pharmakonzerne – exklusive Patenrechte über seine Segnungen zu sichern“. Dieser Seitenhieb gilt Samuel Huntingtons Ansatz vom „Kampf der Kulturen“ oder den Vorstellungen des französischen Philosophen Alain Finkielkraut, der meint, daß Europa und nur Europa die geistigen Grundlagen für Menschenrechte, menschliche Individualität und Demokratie gelegt habe.
Und was bleibt von Frantz Fanons „visionären Realismus“ für die Zukunft? Sekyi-Otu fürchtet, dass nach dem 11.September eine neue Apartheid aus der „Asche von Manhattan“ aufsteigt. Das jedenfalls klinge an, wenn von „unserer zivilisierten Welt“ und der Welt „der anderen“ die Rede sei, wenn Invasion und Tötung an die Stelle der „kommunikativen Ethik“ von Jürgen Habermas trete. Dennoch – oder gerade deswegen – bliebe Frantz Fanons „unvollendete Ode an eine Welt frei von versklavenden Begrenzungen“ eine Aufforderung an jede und jeden, diesem „vertonten Poem“ des Arztes aus Martinique neue Rhythmen und Verse hinzufügen. MARTIN FORBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen